Ein Beitrag von Max van der Leeden, Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Krankschreibungen im Ausland sind ein häufiger Zankapfel. Einer im Ausland ausgestellten AU-Bescheinigung kommt dabei grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer AU-Bescheinigung in Deutschland zu, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt. Aber: Die Gesamtschau der Umstände kann im Einzelfall den Beweiswert dieser Bescheinigung erschüttern. So war es in dem aktuell entschiedenen Fall des Bundesarbeitsgerichtes (BAG, Urteil vom 15.01 2025, Az. 5 AZR 284/24). Diese Entscheidung führt dazu, dass letztlich in einem Rechtsstreit der betroffene Arbeitnehmer seine Erkrankung beweisen muss.
Zum Sachverhalt:
Der klagende Arbeitnehmer arbeitet seit 22 Jahren beim Arbeitgeber und verdient dort als Lagerarbeiter rund 3.600 EUR brutto. Schon in den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seinem Urlaub verschiedene AU-Bescheinigungen vor.
So im Urlaub 2022. Der Urlaub war vom 22.08.2022 bis 09.09.2022 bewilligt. Am 07.09.2022 legte der Arbeitnehmer eine AU-bescheinigung eines tunesischen Arztes vor, die bis 30.09.2022 ausgestellt war.
Der Arzt bestätigte, der Arbeitnehmer müsse wegen schwerer Ischialbeschwerden strenge häusliche Ruhe einhalten und sei nicht reisefähig. Der Arbeitnehmer buchte dennoch am Folgetag ein Ticket für die Fähre und trat dann am 29.09.2022 mit dem Auto die Heimreise an. Der Arbeitgeber verweigerte in der Folge die Lohnfortzahlung für den gesamten September.
BAG: Gesamtschau der Umstände erschüttert Beweiswert
Der fünfte Senat des BAG stellte klar, dass auch einer AU-Bescheinigung aus dem Nicht-EU-Ausland grundsätzlich der gleiche Beweiswert zukommt wie einer in Deutschland ausgestellten AU-Bescheinigung. Notwendig sei, dass der ausländische Arzt zwischen einer Krankheit und einer Arbeitsunfähigkeit differenziert.
Vorliegend sei aber eine Arbeitsunfähigkeit für 24 Tage ohne erneute Vorstellung beim Arzt bestätigt worden. Schon am Tag nach der Krankschreibung habe der Arbeitnehmer sein Ticket für die Fähre gebucht. Die beschwerliche Heimreise mit dem Auto sei dann während der verordneten Ruhezeit angetreten worden. Zudem sei diese Arbeitsunfähigkeit im Zusammenhang mit dem Urlaub nicht die erste dieser Art gewesen. In der erforderlichen Gesamtschau aller Umstände bestehen deshalb – so das BAG - ernsthafte Zweifel am Beweiswert der vorgelegten AU-Bescheinigung.
Die Konsequenzen:
Ist der Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttert, führt das in einem Rechtsstreit zu einer Beweislastumkehr. Der Arbeitnehmer trägt in diesem Fall die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Nur wenn der Arbeitnehmer die Erkrankung beweisen kann, besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).
Ob der Arbeitnehmer diesen Beweis führen kann, wird das LAG München entscheiden, weil das BAG den Fall an das Landesarbeitsgericht zur Klärung dieser Frage zurückverwiesen hat.
Fazit:
Die Krankschreibung im Ausland führt häufig zu Rechtsstreitigkeiten vor dem Arbeitsgericht. Erfreulich ist, dass das Bundesarbeitsgericht zur Frage einer AU-Bescheinigung eines ausländischen Arztes Stellung bezogen und eine ausländische Bescheinigung grundsätzlich anerkannt hat. Bei der Frage, wann der Beweiswert einer solchen AU-Bescheinigung erschüttert ist, hat das BAG auf eine „Gesamtschau“ der Einzelumstände abgestellt. Es handelt sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung. Solche AU-Bescheinigungen werden aber relativ häufig vom Arbeitgeber angezweifelt. Im Streitfall sollte deshalb grundsätzlich ein erfahrener Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzugezogen werden.
Stand: Januar 2025