Inhalts- und Ausübungskontrolle von Eheverträgen
Das Problem
Mit einer Grundlagenentscheidung vom 19.10.1993 (BVerfGE 89, 231, 234) hat das Bundesverfassungsgericht die bisherige Rechtslage quasi auf den Kopf gestellt. Galt bis dahin eine weitgehende Vertragsfreiheit, hat das Gericht festgestellt, dass eine besonders einseitige Vertragsgestaltung gegen die guten Sitten, bzw. gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen kann.
Der Bundesgerichtshof hat dann mit einer Entscheidung vom 11.02.2004 (BGH XII ZR 265 / 02) diesen Rechtsgedanken aufgegriffen und zivilrechtlich umgesetzt.
Diese Entscheidungen der beiden Gerichte haben weitgehende Konsequenzen für eine Vielzahl der Eheverträge, die vor dem 11.02.2014 geschlossen wurden. Aber auch für Verträge die danach geschlossen wurden, kann eine Überprüfung Sinn machen.
Man wird davon ausgehen können, dass es wahrscheinlich mehrere Jahre gedauert hat, bis alle beurkundenden Notare die Änderung der Rechtsprechung in ihren Vertragsmustern umgesetzt haben. Dies gilt umso mehr, als die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sich nach der Grundlagenentscheidung vom 11.02.2004 erst noch festigen musste.
Es empfiehlt sich all deshalb bei allen Eheverträgen, die eine einseitige Lastenverteilung zulasten eines Ehegatten bestimmen, eine Überprüfung durch einen auf diesem Gebiet versierten Spezialisten.
Was beinhalten die Entscheidungen?
Der BGH hatte ein komplexes Prüfungsmuster für die Inhalts,- und Ausübungskontrolle von Eheverträgen entwickelt:
1. Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB, Inhaltskontrolle
In einem ersten Prüfungsschritt wird untersucht, ob der entsprechende Ehevertrag möglicherweise sittenwidrig ist. Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist dabei der Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags.
Eheverträge können gemäß § 138 BGB nichtig sein, wenn in einem so genannten Kernbereich der Scheidungsfolgen ein Ehegatte unter Ausnutzung der Dominanz des anderen Ehegatten unangemessen und einseitig benachteiligt worden ist.
Hier sind insbesondere die Regelungen zum vollständigen Verzicht auf unterschiedliche Unterhaltstatbestände anfechtbar.
Aber auch Regelungen zum vollständigen Verzicht auf den Zugewinnausgleich können eventuell eine Sittenwidrigkeit des Ehevertrages begründen, wenn ein Ehegatte dadurch bei Gesamtschau der Umstände unzumutbar benachteiligt worden ist.
Weitere Voraussetzung ist die Ausnützung einer einseitigen Dominanz des anderen Ehegatten.
Rechtsfolge: Nichtigkeit
Die Rechtsfolge einer Anfechtbarkeit ist gravierend: Der Vertrag ist dann vollständig nichtig!
D. h., der Vertrag wird vom Zeitpunkt des Abschlusses an als rechtlich nicht existent angesehen.
Mit der Rechtsfolge, dass die gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Scheidungsrechts Anwendung finden.
Dies kann gerade im Unternehmensbereich gravierende Konsequenzen haben, wenn etwa die Herausnahme eines Unternehmensbestandteils aus dem Zugewinnausgleich unwirksam ist.
Auch eine eventuell vereinbarte Gütertrennung wäre dann ebenfalls nichtig, mit der Folge dass die gesetzlichen Regelungen des Zugewinnausgleiches greifen.
Dies hat dann möglicherweise zur Folge dass ein eventuell während der Ehezeit erfolgter Wertgewinn des Unternehmens eines Ehegatten voll im Zugewinnausgleich Berücksichtigung findet.
2. Ausübungskontrolle gemäß § 242 BGB
In einer weiteren Stufe prüft der Bundesgerichtshof, ob denn die konkrete Ausübung der Inhalte der ehevertraglichen Regelungen, nicht gegen die Grundsätze aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verstößt. Maßgeblicher Prüfungszeitpunkt ist dabei das Scheidungsverfahren.
Geprüft wird dabei, ob das von den Ehegatten tatsächlich gelebte Ehemodell mit den Regelungen des Ehevertrages in Übereinkunft zu bringen ist.
So wird man zum Beispiel bei einer Ehe zwischen einem 50-jährigen, gut verdienenden Rechtsanwalt und einer 52 Jahre alten, ebenfalls gut verdienenden Unternehmensberaterin einen vollständigen Verzicht auf Unterhalt, Zugewinnausgleich und Versorgungsausgleich eher für wirksam erachtet werden, als bei einer Ehe zwischen einem 52-jährigen Chefarzt und einer 22-jährigen Krankenschwesterschülerin, die sich zudem noch in ihrer ersten Berufsausbildung befindet.
Allerdings sind im Bereich der Ausübungskontrolle die Folgen der richterlichen Prüfung nicht so gravierend: Rechtsfolge ist hier nicht die Nichtigkeit. Vielmehr findet eine richterliche Vertragsanpassung statt. Das bedeutet, der Vertrag wird nicht unwirksam, sondern durch richterliches Urteil an das tatsächlich gelebte Ehemodell angepasst.
3. Was ist zu tun?
Wenn Sie die Befürchtung haben , dass der von Ihnen abgeschlossene Ehevertrag unter die oben beschriebenen Regelungen fällt, ist eine Überprüfung der Regelungen und gegebenenfalls eine zeitnahe Anpassung an die Erfordernisse der Rechtsprechung dringend geboten. Dies gilt umso mehr, wenn ihr Ehevertrag vor dem Jahr 2004 oder kurz danach beurkundet wurde.
Sollten Sie sich bereits in einem Scheidungsverfahren, oder in einer Trennungs- oder Scheidungssituation befinden sind eventuell vorhandene ehevertragliche Regelung unbedingt auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Gegebenenfalls ergeben sich hier Ansatzpunkte um einseitig benachteiligende Regelungen auszuhebeln.
Auch wenn sie von einer Anfechtung ihres Ehevertrages betroffen sind, sollte unbedingt eine Prüfung des Ehevertrages anhand der vom BGH aufgestellten Grundsätze durch einen versierten Spezialisten erfolgen. Nicht alles was auf den ersten Blick einseitig belastend erscheinen mag, ist es dann tatsächlich auch.
Beachten muss man auch, dass die vom Bundesgerichtshof entwickelte Rechtsprechung sehr komplex ist. Eine schematische Bewertung nach Fallgruppen ist deshalb nur eingeschränkt möglich. Maßgeblich ist immer eine Prüfung des konkreten Einzelfalles.
Die Kontrolle entsprechend „verdächtiger“ Eheverträge kann nur von einem in der Materie umfassend eingearbeiteten Rechtsanwalt erfolgen.
Sollten Sie Zweifel haben, ob ihr Ehevertrag unwirksam ist, können empfehlen wir deshalb die Vereinbarung eines entsprechenden Beratungstermines.