Der Pflichtteilsberechtigte ist i.d.R. Kind oder Ehepartner des Erblassers, der durch Testament oder Erbvertrag enterbt worden ist. In den meisten Fällen ist schon lange vor dem Ableben des Erblassers der Kontakt abgebrochen, was meistens an einem Zerwürfnis zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem liegt. Dementsprechend ist insbesondere der pflichtteilsberechtigte Abkömmling regelmäßig nicht über die Zusammensetzung des Vermögens des Erblassers in Zeitpunkt des Erbfalls informiert.
Für die Berechnung des Pflichtteils kommt es aber genau darauf an.Der Pflichtfeilsberechtigte steht vor dem Dilemma, seinen Anspruch im Falle eines Gerichtsverfahrens beweisen zu müssen. Wegen seiner Unkenntnis über Zusammensetzung und Wert des Nachlasses ist er dazu auf die Hilfe des Erben angewiesen, weil nur dieser das Recht hat, erforderliche Auskünfte zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses einzuholen. Freiwillig wird der Erbe dies nicht tun. Wer ist schon bereit, den Gegner für einen möglichen Prozess „fit" zu machen.Der Gesetzgeber hat dies gesehen.
Deshalb verpflichtet er in § 2314 BGB den Erben dazu, durch Erstellung eines Verzeichnisses alle aktiven Vermögensgegenstände und alle Nachlassverbindlichkeiten aufzulisten. Darüber hinaus sind auch unentgeltliche Verfügungen des Erblassers zu benennen, die mit Wirkung in den Zeitraum von 10 Jahren vor dem Erbfall gemacht worden sind.
Diese Aufgabe hat der Erbe grundsätzlich persönlich zu erbringen. Dabei kann es dazu kommen, dass der Erbe es mit den Angaben nicht zu genau nimmt. Die streitige Auseinandersetzung ist vorprogrammiert. Daher sieht das Gesetz vor, dass der Pflichtteilsberechtigte verlangen kann, dass statt des Erben ein Notar das Verzeichnis zu erstellen und zu beurkunden hat. Der Notar ist von Amts wegen neutral, auch wenn er durch den Erben zu beauftragen ist.
Der Notar hat sich dabei nicht nur an den Angaben des Erben zu orientieren, sondern ist verpflichtet, eigene Nachforschungen anzustellen. Dies ist durch die Rechtsprechung des BGH (Bundesgerichtshof) im Jahr 2019 deutlich gemacht worden (BGH NJW 2019,231). Davor bestand eine populäre Ansicht,dass der Notar sich auf die Angaben des Erben und dessen Belege verlassen könne, was in vielen Fällen dazu führte, dass das persönliche Nachlassverzeichnis lediglich ein notarielles Siegel erhielt.
Seit der grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 2019 wird nunmehr über den Umfang der Ermittlungspflicht des Notars diskutiert. Ist der Notar der „Sherlock Holmes" des Pflichtteilsberechtigten?
Eine neuere Entscheidung des BGH nimmt dazu umfassend Stellung und führt die Grundsätze noch einmal vor Augen. (BGH-Beschluss v. 7.3.24- I ZB 40/23 in ZErb 6/2024, 212)
Pflichtteilsberechtigt waren Enkelinnen der Erblasserin, die sich sowohl in Deutschland als auch in Österreich aufhielt und dort Wohnungen hatte. Durch ein notarielles Nachlassverzeichnis war aufgedeckt worden, dass zu einer Bank in Österreich Geschäftskontakte bestanden. Die Enkelinnen vermuteten, dass auch zu anderen österreichischen Banken Kontakte bestanden. Sie wollten erreichen, dass der Notar insoweit weitere Nachforstungen anstellt. Im Rechtsstreit ging es also um die Frage, ob diese umfassende Aufklärungsarbeit ohne konkrete Grundlage in den Unterlagen vom Notar verlangt werden kann.
Zunächst wird festgestellt, dass der Notar in jedem Fall eine eigenständige Ermittlungspflicht hat, weil das notarielle Nachlassverzeichnis die größere Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskünfte bieten soll. Natürlich hat der Notar sich dabei auf die Angaben des Erben zu stützen, darf sich darauf aber nicht beschränken. Er hat vielmehr diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Pflichtteilsberechtigten für nötig halten würde. Insbesondere hat er dabei auch darauf hinzuwirken, dass der Erbe bei der Erfassung sämtlicher Nachlassgegenstände mitwirkt, z.Bsp. erforderliche Auskünfte für den Notar einzuholen, wenn dieser selbst es nicht bewerkstelligen kann oder darf.
Eine deutliche Grenze zieht das Gericht aber nunmehr dahingehend, dass für Nachforschungen - z.Bsp. zu Bankverbindungen und damit verbundenen Kontoauszügen - sich aus den Nachlassunterlagen oder sonstigen Informationsquellen im Nachlass Hinweise ergeben. Wenn beispielsweise keinerlei Unterlagen auf eine Verbindung zu einer anderen Bank als der Hausbank vorliegen, muss der Notar grundsätzlich keine „Rundum-Anfrage" machen. Dies gilt sowohl für inländische als auch für ausländische Bankverbindungen.Im konkreten Fall sieht das Gericht deshalb keinen Anlass für den Notar, weitere Auskünfte insbesondere überÖsterreichische Konten einzuholen, denn es lagen keine Hinweise darauf vor. Die reine Behauptung, die Erblasserin habe auch in Deutschland mehrere Konten gehabt, genügte jedenfalls nicht.
Ausreichend für eine weitergehende Ermittlungspflicht dürfte allerdings sein, dass der Pflichtteilsberechtigte unter Hinweis auf einen plausiblen Lebenssachverhalt (z. Bsp. eine vermietete Immobilie im Ausland) auf die Tatsache hinweist, also im Beispiel. dass dort noch Bankverbindungen zur Organisation der Vermietung bestehen müssen.
Der BGH verweist aber ausdrücklich darauf, dass es eine Einzelfallentscheidung des Notars ist, ob und in welchem Umfang er Ermittlungen anstellt. „Wasserdichte" Aussagen lassen sich daher nicht machen.
Vor diesem Hintergrund ist jedem Pflichtteilsberechtigten zu empfehlen, zum einen auf Anwesenheit bei der Aufnahme des Nachlassverzeichnisses zu bestehen und auch dort teilzunehmen. Nur hier kann der Notar befragt werden, ob er sämtliche Unterlagen ausgewertet hat. Außerdem sind vor allem hier die Hinweise auf mögliche weitere Nachlassgegenstände zu geben, denen der Notar dann nachgehen muss.
Außerdem ist zu empfehlen, den Entwurf eines Nachlassverzeichnisses, den der Notar in aller Regel an alle Beteiligten versendet zu lesen und auf Lücken zu prüfen. Ist das Verzeichnis einmal beurkundet, hat der Erbeseine Pflicht erfüllt. Eine Vervollständigung kann dann nur noch eingeschränkt verlangt werden. Auch dazu nimmt das Urteil Stellung.
Wegen der Komplexität bei Überprüfung eines notariellen Nachlassverzeichnisses ist die Inanspruchnahmeprofessioneller anwaltlicher Hilfe für diesen Fall zu empfehlen.