In jüngster Zeit häufen sich Regressklagen von Rechtsschutzversicherern gegen Rechtsanwaltskanzleien, die im Bereich des Abgasskandals Mandanten vertreten haben. Ein zentrales Argument dieser Klagen ist die vermeintliche objektive Aussichtslosigkeit der ursprünglichen Klageverfahren, die von den Kanzleien geführt wurden. Die Versicherer argumentieren, dass den Mandanten hätte von einer Klage abgeraten werden müssen, da keine realistische Erfolgsaussicht bestanden habe.

Ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts (AG) München vom 27.01.2025 (Az. 132 C 14067/24 - nicht rechtskräftig) bringt nun neue Klarheit in diese Debatte. Das Gericht entschied, dass eine objektive Aussichtslosigkeit nicht angenommen werden kann, solange eine entscheidende Rechtsfrage nicht höchstrichterlich – in diesem Fall durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) – geklärt ist.

BGH und EuGH: Entscheidungskompetenzen klar geregelt

Bereits im Mai 2024 hatte der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in seiner Entscheidung (IX ZR 38/23) festgelegt, dass eine objektive Aussichtslosigkeit einer Klage nur dann gegeben ist, wenn eine höchstrichterliche Klärung vorliegt. Wenige Wochen später konkretisierte der IV. Senat des BGH (IV ZR 140/23), dass für europarechtliche Fragen der EuGH als höchstes Gericht anzusehen sei.

Das AG München griff diese beiden Urteile auf und stellte fest, dass eine zwischenzeitliche Annahme eines sogenannten acte claire durch den BGH nicht dazu führen kann, dass eine Rechtsfrage als höchstrichterlich geklärt gilt, wenn ein entsprechendes EuGH-Urteil noch aussteht. Die Begründung des Gerichts:

„Der BGH konnte zwar die Entscheidungskompetenz des EuGH leugnen, diese aber nicht an sich ziehen.“

Damit folgt das AG München der verteidigenden Argumentation von RA Dr. Tim Horacek (Keen Law), der betont:

„Solange eine zentrale Rechtsfrage noch dem EuGH zur Entscheidung vorliegt, kann nicht von einer objektiven Aussichtslosigkeit gesprochen werden. Die von den Versicherern angestrebten Regressklagen entbehren daher einer tragfähigen Grundlage.“

§ 86 VVG: Kein Regressanspruch für den Versicherer

Rechtsschutzversicherer versuchen in diesen Fällen, über § 86 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ihre Kosten von den vertretenen Rechtsanwälten zurückzuholen. Dieser Paragraph regelt den gesetzlichen Forderungsübergang auf den Versicherer. Die Argumentation der Versicherer: Wäre das ursprüngliche Verfahren als aussichtslos einzustufen gewesen, hätten sie die Kosten nicht übernehmen müssen. Doch das AG München stellt klar, dass eine solche Einschätzung ex ante nicht vorgenommen werden konnte, solange die entscheidende Frage beim EuGH noch offen war.


Fazit: Klare Grenzen für die Haftung des Rechtsanwalts

Das Urteil des AG München ist ein wichtiger Erfolg für Rechtsanwälte, die sich gegen unberechtigte Regressforderungen wehren müssen. Die Entscheidung zeigt, dass eine Haftung des Anwalts nicht allein auf Basis späterer Entwicklungen begründet werden kann.

Rechtsanwälte sollten dennoch sicherstellen, dass sie ihre Mandanten umfassend über Erfolgsaussichten und mögliche Risiken aufklären. Dies kann durch eine klare Dokumentation der Beratungsgespräche und der Erwägungen zur Erfolgsaussicht geschehen. Doch eines steht fest: Solange eine entscheidende Rechtsfrage nicht höchstrichterlich geklärt ist, kann von einer objektiven Aussichtslosigkeit keine Rede sein – und damit auch nicht von einer (hierauf gestützten) Anwaltshaftung.


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