Ein Urteil ist nicht immer ein echtes Urteil – zumindest nicht, wenn es an grundlegenden prozessualen Voraussetzungenfehlt. Solche Scheinurteile entfalten keine instanzbeendende Wirkung und können daher nicht vollstreckt oder als Grundlage für weitere Verfahren verwendet werden.
Doch wie wehrt man sich gegen ein solches unwirksames Urteil? Kann man dagegen Berufung einlegen? Das Oberlandesgericht (OLG) Celle (Urteil vom 29.11.2023 – 14 U 75/23, MDR 2024, 189) hat entschieden:
➡ Ja, eine Berufung ist zulässig, um den äußeren Anschein einer wirksamen Entscheidung zu beseitigen.
Dieser Artikel erklärt, was ein Scheinurteil ist, welche Konsequenzen es hat und wie sich betroffene Parteien dagegen wehren können.
1. Was ist ein Scheinurteil?
Ein Scheinurteil liegt vor, wenn eine gerichtliche Entscheidung ergeht, obwohl die grundlegenden Voraussetzungen für ein Urteil fehlen. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn:
- das Gericht über eine nicht rechtshängige Klage entscheidet,
- eine Partei unzulässig ausgewechselt wurde, ohne dass eine neue Klage erhoben wurde,
- wesentliche prozessuale Vorgaben der Zivilprozessordnung (ZPO) missachtet wurden.
Das OLG Celle verweist dabei auf die ständige Rechtsprechung des BGH:
➡ BGH, Beschluss vom 5.12.2005 – II ZB 2/05: Ein Scheinurteil ist wirkungslos und kann keine Instanz beenden.
➡ BGH, Urteil vom 18.09.1963 – V ZR 192/61: Eine Berufung ist dennoch zulässig, um den Anschein eines wirksamen Urteils zu beseitigen.
2. Der Fall vor dem OLG Celle: Ein Urteil ohne rechtshängige Klage
Im zugrunde liegenden Fall hatte das Landgericht Hannover (11 O 128/22) eine Entscheidung gegen eine Beklagte zu 2 getroffen, ohne dass gegen sie jemals eine Klage rechtshängig geworden war.
Was war passiert?
- Der Kläger hatte die Klage gegen die ursprüngliche Beklagte zu 1 während der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
- Das Landgericht entschied trotzdem in derselben Verhandlung gegen eine neu eingeführte Beklagte zu 2 – ohne dass diese jemals offiziell verklagt worden war.
- Da eine neue Klage nicht rechtshängig war, war das Urteil prozessual unwirksam – es war ein Scheinurteil.
3. OLG Celle: Scheinurteil kann mit Berufung angegriffen werden
Das OLG Celle hob das Urteil des Landgerichts auf und stellte klar:
- Ein unwirksames Urteil kann trotzdem mit der Berufung angegriffen werden.
- Die Berufung dient dazu, den Anschein eines gültigen Urteils zu beseitigen.
- Das Berufungsgericht kann in solchen Fällen keine Sachentscheidung treffen, sondern muss die Sache an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen.
➡ Fundstelle: OLG Celle, Urteil vom 29.11.2023 – 14 U 75/23, MDR 2024, 189
4. Warum ist das wichtig?
Für Parteien in einem Zivilprozess:
- Wer von einem offensichtlich fehlerhaften Urteil betroffen ist, sollte prüfen, ob es sich um ein Scheinurteilhandelt.
- Berufung ist das richtige Rechtsmittel, um ein Scheinurteil aus der Welt zu schaffen.
Für Gerichte:
- Ein Urteil kann nur gegen eine Partei ergehen, gegen die eine Klage rechtshängig ist.
- Parteiänderungen müssen ordnungsgemäß durch eine neue Klage erfolgen.
- Gerichte dürfen keine Entscheidungen auf Basis von nicht existierenden Prozessrechtsverhältnissen treffen.
5. Fazit: Scheinurteile sind unwirksam – Berufung ist möglich!
Das OLG Celle (Urteil vom 29.11.2023 – 14 U 75/23) bestätigt die bestehende Rechtsprechung des BGH:
✅ Ein Scheinurteil hat keine rechtliche Wirkung.
✅ Die Berufung ist zulässig, um den Anschein einer gültigen Entscheidung zu beseitigen.
✅ Das Berufungsgericht hebt das Scheinurteil auf und verweist die Sache zurück.
Wer ein offensichtlich fehlerhaftes Urteil erhält, sollte daher genau prüfen, ob es sich um ein Scheinurteil handelt – und dann mit einer Berufung dagegen vorgehen!