Pflicht zum Elternunterhalt: Wann entfällt die Leistungsfähigkeit?

Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschied zunächst, dass ein Sohn nicht zur Zahlung von Elternunterhalt verpflichtet sei, da er aufgrund des Angehörigenentlastungsgesetzes und seiner familiären Situation als nicht leistungsfähig gelte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob diese Entscheidung auf und verwies den Fall zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.

Sachverhalt
Der Sohn, verheiratet und Vater zweier Kinder, wurde aufgefordert, Unterhalt für seine pflegebedürftige Mutter zu zahlen. Sie lebte seit 2016 in einem Pflegeheim, dessen Kosten teilweise durch Pflegegeld und Rente gedeckt wurden. Der Sozialhilfeträger übernahm den restlichen Betrag und verlangte ab 2020 rückwirkend Unterhalt, da das Bruttoeinkommen des Sohnes über der gesetzlich festgelegten Grenze von 100.000 € lag.

Der Sohn argumentierte, dass er aufgrund eines Familienselbstbehalts von mindestens 9.000 € sowie seiner familiären Verpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und Kindern nicht leistungsfähig sei.

Entscheidung des OLG Düsseldorf
Das OLG stellte fest, dass der Sohn aufgrund seines unterhaltsrelevanten Einkommens nicht in der Lage sei, Elternunterhalt zu zahlen. Dies beruhte auf einem Familienselbstbehalt von 9.000 €, der aus dem Angehörigenentlastungsgesetz abgeleitet wurde. Zudem wurden Ausgaben für Altersvorsorge und Kinderunterhalt berücksichtigt.

Entscheidung des BGH
Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und stellte fest, dass der Selbstbehalt fehlerhaft berechnet wurde. Nach Ansicht des BGH erfordert der Selbstbehalt beim Elternunterhalt eine differenzierte Prüfung, die nicht schematisch an der 100.000-Euro-Grenze des Angehörigenentlastungsgesetzes anknüpfen darf.

Begründung zum Selbstbehalt

  1. Individuelle Bemessung statt Pauschalierung:
    Der BGH betonte, dass der Selbstbehalt individuell zu bemessen ist. Maßgeblich ist, welcher Betrag dem Unterhaltspflichtigen verbleiben muss, um seinen eigenen angemessenen Lebensstandard zu sichern. Dabei sind seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die familiären Verpflichtungen und das familiäre Zusammenleben zu berücksichtigen.

  2. Abweichung von der 100.000-Euro-Grenze:
    Die Einkommensgrenze des Angehörigenentlastungsgesetzes dient nur dazu, die Rückgriffsmöglichkeiten der Sozialhilfeträger zu begrenzen. Sie ist jedoch keine Bezugsgröße für die Berechnung des zivilrechtlichen Selbstbehalts. Der BGH rügte, dass das OLG diese Grenze systemwidrig für die Selbstbehaltsbemessung herangezogen habe.

  3. Angemessene Höhe des Selbstbehalts:
    Der BGH führte aus, dass der Selbstbehalt beim Elternunterhalt den Lebensstandard des Unterhaltspflichtigen schützen und dabei auch die eheliche Solidarität wahren soll. Dabei könne ein erhöhter Selbstbehalt durchaus angemessen sein. Der BGH wies darauf hin, dass eine Erhöhung des Selbstbehalts um bis zu 70 % über die in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen Selbstbehaltssätze nicht zu beanstanden sei, wenn dies den konkreten Lebensverhältnissen entspreche.

  4. Konkrete Berechnung erforderlich:
    Statt einer Pauschalierung, wie sie das OLG vorgenommen hatte, sei der Selbstbehalt individuell zu berechnen. Dabei müsse der konkrete Bedarf des Unterhaltspflichtigen und seiner Familie im jeweiligen Einzelfall festgestellt werden.

Ausblick
Das OLG Düsseldorf muss nun erneut prüfen, ob und in welcher Höhe der Sohn leistungsfähig ist. Dabei sind die Hinweise des BGH zur Berechnung des Selbstbehalts zu berücksichtigen, insbesondere die Möglichkeit, in Einzelfällen einen erhöhten Selbstbehalt von bis zu 70 % anzusetzen.

Fazit
Der BGH betont mit seiner Entscheidung die Bedeutung einer sorgfältigen, einzelfallbezogenen Prüfung beim Elternunterhalt. Der Selbstbehalt darf nicht schematisch berechnet werden, sondern muss die individuellen Umstände und Verpflichtungen des Unterhaltspflichtigen berücksichtigen. Die Möglichkeit eines um 70 % erhöhten Selbstbehalts zeigt zudem, dass der Schutz der wirtschaftlichen Existenz des Unterhaltspflichtigen Vorrang hat.

veröffentlicht ist bisher die Pressemitteilung zum Aktenzeichen Beschluss vom 23. Oktober 2024 - XII ZB 6/24