Mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 03.12.2024 (Aktenzeichen: XI ZR 75/23) hat der Bundesgerichtshof eine von vielen Volks- und Raiffeisenbanken (VR-Banken) verwendete Vorfälligkeitsklausel gekippt, da dort bei der Schadensberechnung in zeitlicher Hinsicht auf die „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ abgestellt wrude. Dies ist nach Ansicht des BGH unzureichend im Sinne des § 502 BGB.
Kunden der Volks- und Raiffenbanken können Vorfälligkeitsentschädigungen zurückverlangen, die sie in den Jahren 2022, 2023 und 2024 bezahlt haben. Ist der Betrag bereits 2021 gezahlt worden, dürften Ansprüche am 31.12.2024 verjährt sein.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien schlossen zwei Immobiliar-Darlehensverträge über Nettodarlehensbeträge in Höhe von 170.000 € und 20.000 €. In den Darlehensverträgen heißt es jeweils unter anderem:
„4 Darlehensrückzahlung und Laufzeit
(…) Vertragslaufzeit Auf Basis der vereinbarten Konditionen ergibt sich eine voraussichtliche Vertragslaufzeit von [20 Jahren und 8 Monaten bzw. 14 Jahren und 3 Monaten]. Zinssatz- und Tilgungsänderungen können zu Änderungen der Ratenhöhe und der Anzahl und damit zur Veränderung der anfänglich vereinbarten Darlehenslaufzeit führen. Das Kapitalnutzungsrecht des vereinbarten Darlehens bleibt bei vertragsgemäßer Erfüllung für den gesamten, zur vollständigen Tilgung benötigten Zeitraum erhalten.
7 Vorzeitige Rückzahlung
Der Darlehensnehmer kann seine Verbindlichkeiten im Zeitraum der Sollzinsbindung nur ganz oder teilweise vorzeitig erfüllen, wenn ein berechtigtes Interesse des Darlehensnehmers besteht. Im Fall der vorzeitigen Rückzahlung fällt eine Vorfälligkeitsentschädigung nach Ziffer 8 an.
8 Angabe zur Berechnungsmethode des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung (Ablöseentschädigung)
Im Fall der vorzeitigen Rückzahlung (vergleiche Ziffer 7 dieses Vertrags) oder im Fall der außerordentlichen Kündigung auf der Grundlage eines berechtigten Interesses (vergleiche Ziffer 8 Satz 2 der Allgemeinen Bedingungen für Kredite und Darlehen) hat der Darlehensnehmer der Bank denjenigen Schaden zu ersetzen, der dieser aus der vorzeitigen Rückzahlung entsteht. Der Berechnung dieses Schadens wird der Darlehensgeber die vom Bundesgerichtshof für zulässig befundene Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode zugrunde legen, welche davon ausgeht, dass die durch die Rückzahlung frei gewordenen Mittel laufzeitkongruent in Hypothekenpfandbriefen angelegt werden. Danach wird berücksichtigt:
- Der Zinsverschlechterungsschaden als der finanzielle Nachteil aus der vorzeitigen Darlehensablösung, das heißt, die Differenz zwischen dem Vertragszins und der Rendite von Hypothekenpfandbriefen mit einer Laufzeit, die der Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens entspricht. Die Differenz zwischen dem Vertragszins des abzulösenden Darlehens und der Hypothekenpfandbriefrendite ist um angemessene Beträge sowohl für ersparte Verwaltungsaufwendungen als auch für das entfallene Risiko des abzulösenden Darlehens zu kürzen. Die auf der Grundlage der so ermittelten Nettozinsverschlechterungsrate für die Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens sich ergebenden Zinseinbußen werden dann auf den Zeitpunkt der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung abgezinst. Dabei wird auch hier der aktive Wiederanlagezins, das heißt, die Renditelaufzeit kongruenter Hypothekenpfandbriefe zugrunde gelegt.
- Daneben wird der Darlehensgeber ein angemessenes Entgelt für den mit der vorzeitigen Ablösung des Darlehens verbundenen Verwaltungsaufwand verlangen.
Ein Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ist ausgeschlossen, wenn die Rückzahlung aus den Mitteln einer Versicherung bewirkt wird, die aufgrund einer entsprechenden Verpflichtung im Darlehensvertrag abgeschlossen wurde, um die Rückzahlung zu sichern oder im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind.“
Für die auf Wunsch der Kläger erfolgten vorzeitigen Darlehensrückzahlungen stellte ihnen die Beklagte eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 8.550,36 € und 7.304,39 € in Rechnung. Die Kläger zahlten dies unter Vorbehalt.
Die Klage, gerichtet auf Zahlung von 10.048,90 € nebst Verzugszinsen und Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, hatte erstinstanzlich (Landgericht Frankenthal, Aktenzeichen:7 O 60/21) Erfolg. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG Zwekbrücken (Aktenzeichen: 7 U 14/22) hinsichtlich der Rechtsanwaltskosten als begründet angesehen und im Übrigen zurückgewiesen. Mit der – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag auch im Übrigen weiter.
Der BGH begründete sein Urteil wie folgt:.
[...]
Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Vorfälligkeitsentschädigungen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB.
[...]
1.
In einem Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag muss der Darlehensnehmer gemäß Art. 247 § 7 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB klar und verständlich über die Voraussetzungen und die Berechnungsmethode für den Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung informiert werden. Ist die Information über die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend, ist gemäß § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ausgeschlossen.
[...]
2.
Nach diesen Maßgaben ist die streitgegenständliche Klausel, die bei der Schadensberechnung in zeitlicher Hinsicht auf die „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ abstellt, unzureichend im Sinne des § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB.
[...]
Entgegen der Auffassung der Revision versteht ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vorliegend die gegenständlichen Vertragsbedingungen dahingehend, dass mit „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ die noch verbliebene Gesamtlaufzeit der Darlehen, nicht aber der Zeitraum der rechtlichen geschützten Zinserwartung bezeichnet wird.
Der Verbraucher begreift „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ als „restliche Laufzeit“ des geschlossenen Vertrags im Sinne der (gesamten) Vertragslaufzeit, nicht aber als durch Zinsvereinbarungen oder durch das Gesetz näher bestimmte Zeitabschnitte desselben. Denn eine Definition der „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ erfolgt in den Vertragsbedingungen nicht, während die „Vertragslaufzeit“ in Ziffer 4 des Darlehensvertrags in räumlichem Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Klausel erläutert wird, wobei auf die voraussichtliche Gesamtlaufzeit des Darlehens abgestellt und diese nach Jahren und Monaten angegeben wird. Anknüpfungspunkte für den Verbraucher, dass sich die „(Rest-)Laufzeit“ nicht auf die zuvor definierte „(Vertrags-)Laufzeit“ bezieht, liegen nicht vor (vgl. OLG Saarbrücken, WM 2023, 1877 Rn. 58 ff.; LG Bonn, Urteil vom 22. Dezember 2022 – 17 O 89/22, juris Rn. 36 ff.; LG Darmstadt, Urteil vom 14. Juni 2022 – 13 O 6/22, juris Rn. 40 ff.; LG Hamburg, Urteil vom 6. Juli 2023 – 302 O 24/23, juris Rn. 40 ff.; LG Konstanz, Urteil vom 8. Dezember 2020 – 4 O 155/20, juris Rn. 50; BeckOGK BGB/Knops, Stand: 15.8.2024, § 502 Rn. 66; Jungmann in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 56 Rn. 756; aA OLG Celle, Urteil vom 16. August 2023 – 3 U 8/23, juris Rn. 37; OLG Frankfurt am Main, ZIP 2021, 2118, 2119; OLG Stuttgart, Urteil vom 23. Februar 2022 – 9 U 168/21, juris Rn. 52 ff.; LG Saarbrücken, ZIP 2022, 2126, 2128).
Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus den in der streitgegenständlichen Klausel befindlichen Verweisen auf Ziffer 7 des Darlehensvertrags und Ziffer 8 Satz 2 der Allgemeinen Vertragsbedingungen für Kredite und Darlehen. In letzterer wird die Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung des Darlehensnehmers bei Vorliegen eines berechtigten Interesses erläutert, während in ersterer die Modalitäten der vorzeitigen Darlehensrückführung bestimmt werden. Es geht jeweils um das „Ob“ einer vorzeitigen Vertragsbeendigung, Regelungen zu den Rechtsfolgen enthalten diese Klauseln nicht. Soweit Ziffer 7 des Darlehensvertrags für die vorzeitige Rückzahlung auf den „Zeitraum der Sollzinsbindung“ abstellt, kann der Verbraucher zwar daraus folgern, dass sich das dort geregelte Recht zur vorzeitigen Rückzahlung auf eben diesen Zeitraum bezieht; dass darüber hinaus der in der nachfolgenden, streitgegenständlichen Klausel bezeichnete Zeitraum der „Restlaufzeit des abzulösenden Darlehens“ für die Schadensberechnung ebenfalls (nur) den Zeitraum der Sollzinsbindung meint, kann der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Verbraucher einer Zusammenschau der beiden Klauseln aber nicht entnehmen (vgl. OLG Saarbrücken, WM 2023, 1877 Rn. 62; LG Bonn, Urteil vom 22. Dezember- 17 O 89/22, juris Rn. 41 ff.; LG Darmstadt, Urteil vom 14. Juni 2022 – 13 O 6/22, juris Rn. 41; aA OLG Celle, Urteil vom 16. August 2023 – 3 U 8/23, juris Rn. 37; OLG Frankfurt am Main, ZIP 2021, 2118, 2119).
Wie Sie Vorfälligkeitsentschädigungen zurückverlangen können, erklären wir Ihnen ausführlich auf unserer Homepage unter Vorfälligkeitsentschädigung zurückholen.