1. Einleitung
§ 456a der Strafprozessordnung (StPO) eröffnet im Rahmen der Strafvollstreckung eine besondere Möglichkeit für ausländische Gefangene, die in Deutschland eine Haftstrafe verbüßen. Diese Vorschrift ermöglicht es der Vollstreckungsbehörde von Amts wegen oder auf Antrag des Verurteilten von der weiteren Vollstreckung der Strafe abzusehen, wenn der Verurteilte aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird. Der Verurteilte kann damit aus der Haft heraus in sein Heimatland abgeschoben werden. In Deutschland wird die Vollstreckung unterbrochen. Eine weitere Vollstreckung im Heimatland erfolgt nicht. Faktisch wird der Verurteilte zur Entlastung des Strafvollzugs unter der Bedingung des (zeitigen) Verbots der Wiedereinreise freigelassen.
In diesem Beitrag werden die Voraussetzungen, die rechtlichen Grundlagen und die praktischen Abläufe dieser Regelung erläutert. Ziel ist es, ausländischen Gefangenen und ihren Angehörigen ein besseres Verständnis dieser Option zu vermitteln, sowie die Chancen und Fallstricken der Anwendung des § 456a StPO aufzuzeigen.
2. Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen
Die Entscheidung von der weiteren Vollstreckung nach § 456a StPO abzusehen trifft die Vollstreckungsbehörde entweder auf Antrag des Verurteilten oder von Amts wegen. Der Behörde steht in Bezug auf das Absehen von der Vollstreckung ein Ermessensspielraum zu.
Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 456a StPO:
- Rechtskräftige Verurteilung: Der Verurteilte muss rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe, Ersatzfreiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung verurteilt sein.
- Drohende Ausweisung aus dem Geltungsbereich der StPO: Die zuständige Ausländerbehörde muss eine bestandskräftige Ausweisungsentscheidung erlassen haben oder eine vollziehbare Ausreisepflicht des Verurteilten demnächst verwirklichen. Ist der Verurteilte EU-Bürger muss eine bestandskräftige Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts vorliegen.
3. Verfahrensablauf
Der Prozess zur Anwendung des § 456a StPO beginnt in der Regel mit einem Antrag des Verurteilten oder seines Anwalts. Die Vollstreckungsbehörde kann eine Entscheidung auch von Amts wegen treffen. Meist ist der frühestmögliche Zeitpunkt des Absehens von der weiteren Vollstreckung der Halbstrafenzeitpunkt. Regelmäßig wird es der 2/3-Zeitpunkt sein.
Stellt der Verurteilte einen Antrag nach § 456a StPO stellt sich der Verfahrensablauf wie folgt dar:
- Antragstellung: Der Verurteilte oder sein Rechtsbeistand stellt einen Antrag bei der zuständigen Vollstreckungsbehörde.
- Prüfung des Antrags: Die Behörde prüft, ob die Voraussetzungen des § 456a StPO erfüllt sind. Die Prüfung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen auf Grundlage einer Gesamtabwägung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, namentlich der Interesses des Verurteilten einerseits und andererseits derjenigen Gründe, die gegen ein Absehen von der Vollstreckung sprechen.
- Stellungnahme der zuständigen Justizvollzugsanstalt bzw. Einrichtung des Maßregelvollzugs: Die Vollstreckungsbehörde holt von der Anstalt in der der Verurteilte inhaftiert oder untergebracht ist eine Stellungnahme ein.
- Entscheidung: Nach positiver Prüfung und Absprache mit den Ausländerbehörden entscheidet die Vollstreckungsbehörde, zu welchem Zeitpunkt frühestens von der weiteren Vollstreckung abgesehen wird. Zugleich wird für den Fall der Rückkehr des Verurteilten in die Bundesrepublik Deutschland die Nachholung der Vollstreckung angeordnet.
- Durchführung der Ausreise: Die zuständige Ausländerbehörde organisiert die Durchführung der Abschiebung. Der Verurteilte wird aus der Haft heraus in sein Heimatland abgeschoben und dort freigelassen.
4. Praktische Aspekte und Herausforderungen
Die praktische Umsetzung des § 456a StPO kann mit verschiedenen Herausforderungen verbunden sein. Dazu gehören:
- Bürokratische Hürden: Die Koordination zwischen den Behörden (Ausländerbehörde und Vollstreckungsbehörde) kann zeitaufwendig und komplex sein.
- Ausländerrechtliches Wiedereinreiseverbot: Der Ausweisungsbescheid der Ausländerbehörde enthält ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik Deutschland. Aufgrund der Meldung im Schengener Informationssystem (SIS) gilt das Verbot der Einreise und des Aufenthalts für den gesamten Schengenraum. Sofern der Verurteilte EU-Bürger ist, betrifft das verhängte ausländerrechtliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nur die Bundesrepublik Deutschland.
- Nachholung der Vollstreckung: Unabhängig vom ausländerrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot gilt die Anordnung der Vollstreckungsbehörde zur Nachholung der Vollstreckung für den Fall der freiwilligen Rückkehr des Verurteilten in die Bundesrepublik Deutschland solange die Vollstreckung nicht verjährt ist. Denn die Strafvollstreckung wird durch die positive Entscheidung nach § 456a StPO lediglich unterbrochen. Das bedeutet für den Verurteilten, dass er trotz des Ablaufs des ausländerrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren kann, wenn die Vollstreckung der Haftstrafe noch nicht verjährt ist. Kehrt der Verurteilte dennoch zurück, droht dem Verurteilten bei seiner Einreise die Verhaftung und anschließende Verbüßung der noch offenen Reststrafe. Sofern ein Verurteilter nach seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren möchte ist daher stets die fachkundige Beratung eines spezialisierten Rechtsanwalts einzuholen.
- Kosten der Abschiebung: Der Verurteilte hat die Kosten seiner Abschiebung selbst zu bezahlen.
5. Zusammenfassung
Die Abschiebung aus der Haft über § 456a StPO kann für ausländische Gefangene, die einerseits möglichst frühzeitig aus der Haft entlassen werden möchten und andererseits keine Aufenthaltsperspektive in Deutschland haben ein sinnvoller Weg sein. Für betroffene Gefangene ist es wichtig, sich frühzeitig über diese Option zu informieren und gegebenenfalls rechtlichen Beistand in Anspruch zu nehmen, um einerseits die individuellen Chancen und andererseits die strafvollstreckungs- und ausländerrechtlichen Risiken des Verfahrens nach § 456a StPO zu überblicken.