Das LSG Baden-Württemberg hat am 29.04.2024 eine Entscheidung zur Anerkennung einer Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall getroffen und erstmals obergerichtlich grundsätzliche Kriterien aufgestellt, vgl. LSG Baden-Württemberg L 1 U 2085/23 . Die Leitsätze dieser Entscheidung sind:

1. Die Eingangsvoraussetzung für die Anerkennung einer Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 als Arbeitsunfall ist ein Kontakt mit einer Indexperson während einer versicherten, ggfs. betrieblichen Verrichtung.
2. Eine Indexperson ist eine Person, die nachweislich bereits vor dem Versicherten mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert war.
3. Eine solche vorhergehende Infektion kann in der Regel nur durch einen positiven PCR-Test, unter Umständen auch nur durch einen Schnelltest, nachgewiesen werden. Dass die vermeintliche Indexperson vor dem Kontakt unspezifische Symptome gezeigt hatte, reicht nicht aus.
4. Erst wenn ein solcher Kontakt mit einer Indexperson im Vollbeweis gesichert ist, muss auf zweiter Ebene ein Wahrscheinlichkeitszusammenhang zwischen diesem Kontakt und der späteren Infektion des Versicherten bestehen. Hier sind als Indizien unter Umständen die räumliche Nähe und die Dauer des Kontakts oder das Tragen von Schutzmitteln (FFP- oder medizinische Masken) relevant.

Das Gericht hat hohe Hürden für die Anerkennung der Infektion als Arbeitsunfall aufgestellt, nach meinem Dafürhalten hat es den Bogen schlichtweg überspannt. So müsse zunächst festgestellt werden, dass eine mögliche "Indexperson" den Versicherten tatsächlich angesteckt hat. Grundsätzlich muss dafür ein PCR-Test sowohl bei der Indexperson als auch dem Versicherten vorliegen. Erst dann könne in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob eine Infektion auf der Arbeit hinreichend wahrscheinlich gewesen ist. Eine solche Annahme könne sich einerseits aus gefahrerhöhenden Umständen wie etwa fehlender Schutzmaßnahmen (insbesondere Masken) ergeben. Andererseits sei auch zu berücksichtigen, ob im privaten Bereich des Versicherten das Ansteckungsrisiko deutlich geringer gewesen ist. Wer also in der Inkubationszeit einkaufen war oder andere Kontakte im privaten Bereich hatte, ist dann praktisch raus. Es ist nicht nur überbordend, dem Versicherten den Vollbeweis der tatsächlichen Ansteckung durch eine Indexperson aufzuerlegen. PCR-Tests wurden zum Ende der Pandemie fast gar nicht mehr durchgeführt, weil dem Staat die Kosten aus dem Ruder gelaufen sind und vor allem auch nicht mehr bezahlt wurden. Die Tatsache, dass jeder Mensch auch private Kontakte hat, wie etwa das tägliche Einkaufen, führt dann zwingend dazu, dass kein Anspruch auf Anerkennung als Arbeitsunfall besteht. Das ist ein äußerst unbefriedigendes Ergebnis für die Betroffenen! Es bleibt daher spannend, ob das Bundessozialgericht dem folgen wird oder eine dringend notwendige Korrektur vornimmt.

https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/node/175779