Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Arbeitgeber Videoaufzeichnungen aus einer offenen Überwachung verwendete, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Der betreffende Arbeitnehmer wurde von einer Kamera erfasst, die in einem öffentlich zugänglichen Bereich installiert war. Der Arbeitgeber hatte die Kamera angebracht, um Diebstähle und andere Pflichtverletzungen zu verhindern.
Arbeitnehmer erschleicht sich Arbeitslohn
Ein Arbeitnehmer soll eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht, sie gleichwohl vergütet zu bekommen, nicht geleistet haben.
Der Arbeitnehmer hatte an einem Samstag zu einer sog. Mehrarbeitsschicht zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen der nicht zu übersehenden Videokamera an Tor 5 zum Werksgelände ergab nach dem Vorbringen des Arbeitgebers aber, dass der Arbeitnehmer vor Schichtbeginn wieder gegangen war.
Der Arbeitgeber kündigte dem Arbeitnehmer daraufhin außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich, nachdem er ihn angehört hatte.
Der Arbeitnehmer war der Auffassung, dass die Verwendung der Aufzeichnungen der Überwachungskamera gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen und wehrte sich daher in einem Kündigungsschutzprozess gegen die Kündigungen.
Entscheidung des Gerichts
Das BAG entschied, dass Videoaufzeichnungen aus einer offenen Überwachung im Kündigungsschutzprozess verwendet werden dürfen, auch wenn sie nicht vollständig den Datenschutzvorschriften entsprechen.
Begründung
Für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche liegt kein Sachvortragsverwertungs- oder Beweiserhebungsverbot vor.
1. Da die Überwachung offen (und nicht verdeckt) erfolgte, wusste der Arbeitnehmer von der Existenz der Kamera. Das reduziert das Gewicht einer etwaigen Grundrechtsverletzung bereits.
2. Das Gericht betonte, dass die Verwendung der Aufnahmen verhältnismäßig sein muss. Da das Verhalten des Arbeitnehmers als besonders schwerwiegend vertragswidrig einzustufen sei, sei ein etwaiger Eingriff gerechtfertigt.
3. Der Arbeitnehmer habe sich vorliegend höchstens einem psychischen Anpassungsdruck ausgesetzt fühlen dürfen, was den Entfaltungs- Dokumentations- und Verbreitungsschutz tangiere. Er habe sich dennoch, trotz Kenntnis der Überwachung, zur Begehung einer Vorsatztat entschieden und sei daher nicht schutzwürdig.
4. Es liege keine schwerwiegende Grundrechtsverletzung vor. Die Überwachung erfolgte an einem öffentlich zugänglichen Ort. (Anders hätte der Fall gelegen bei einer Überwachung in den Toilettenräumen oder in Umkleidekabinen.)
5. Selbst wenn der Arbeitgeber seinen Informationspflichten nach Art. 13 Abs. 1 und 2 DSGVO nicht korrekt nachgekommen sei, so überwiege das Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers. Die bloße Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung könne ebenfalls nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen, da andere Schutzmechanismen gegeben seien.
6. Auch eine etwaige Betriebsvereinbarung, die Beweisverwertungsverbote regele, ändere nichts an der Rechtslage. Die Entscheidung über die Verwertbarkeit obliege allein dem staatlichen Verfahrensrecht und nicht den Betriebsparteien.
Fazit des Gerichts: Datenschutz ist kein Tatenschutz.
Bedeutung
Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber unter bestimmten Umständen Videoaufzeichnungen verwenden dürfen, um Fehlverhalten Ihrer Mitarbeiter zu belegen. Wichtig dabei ist, dass die Überwachung offen erfolgt und die Interessen des Arbeitgebers die des Arbeitnehmers überwiegen.
Das Urteil verdeutlicht auch die Notwendigkeit für Arbeitgeber, bei der Installation von Überwachungskameras die rechtlichen Rahmenbedingungen sorgfältig zu beachten und abzuwägen.
BAG, Urt. 29.06.2023, Az.: 2 AZR 296/22