Das Entsperren des Handys eines Beschuldigten durch zwangsweises Auflegen der Finger oder Halten vor das Gesicht wird immer häufiger. Wer sich dagegen wehrt, könnte sich strafbar machen. Warum der PIN vielleicht wieder das probate Mittel zum Schutz Ihres Handys sein könnte, erklärt nachfolgend Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Heiko Urbanzyk, Coesfeld (bei Vreden, Gescher, Ahaus, Velen, Stadtlohn, Borken):
Anlass dieses Rechtstipps ist eine Entscheidung des Oberlandesgericht Bremen vom 08. Januar 2025 (1 ORs 26/24). Darin nimmt das Oberlandesgericht Bremen zur Thematik der Nutzung biometrischer Daten zum Entsperren eines Mobiltelefons Stellung. Sollten Sie durch Beamte zu einer ähnlichen Maßnahme gezwungen worden sein, dann kann Ihnen der folgende Beitrag erläutern, welche Maßnahmen Beamte zulässigerweise vornehmen dürfen und gegen welche Maßnahmen Sie sich somit auch nicht wehren dürfen.
Sachverhalt des Urteils
Das OLG Bremen hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem eine Durchsuchung beim Beschuldigten wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer Schriften durchgeführt wurde. Im Rahmen dieser Durchsuchung wurde das Handy des Beschuldigten aufgefunden. Die Beamten forderten den Beschuldigten auf das Handy mittels Fingerabdruck zu entsperren. Dies verweigerte der Beschuldigte. Nach seiner Weigerung wurde der Beschuldigte belehrt und die Beamten wandten unmittelbaren Zwang an. Der Beschuldigte wurde zu Boden gebracht und fixiert, damit die Beamten dann mit seinem Finger das Handy entsperren konnten. Gegen diese Maßnahme wehrte sich der Beschuldigte mit heftiger Gegenwehr.
Rechtliche Einordnung des Urteils
Der Beschuldigte wehrte sich gegen die Maßnahme der Beamten mit heftiger Gegenwehr und dies erfüllt grundsätzlich den Tatbestand des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1 StGB. Diese Tat ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Ausnahmsweise ist eine solche Tat nicht strafbar, wenn die vorgenommene Diensthandlung der Beamten unrechtmäßig ist gem. § 113 Abs. 3 StGB. Das Gericht musste somit überprüfen, ob die Beamten den Beschuldigten fixieren durften, um sein Handy mit dessen Finger zu entsperren.
Mehr zur Thematik des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte finden Sie in einem meiner anderen Rechtstipps: Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte gem. §§ 113, 114 StGB - Hilfe vom Fachanwalt
Rechtmäßigkeit der Nutzung der Fingerabdrücke des Beschuldigten
Das OLG Bremen hat bestätigt, dass die Anwendung des unmittelbaren Zwanges (Fixieren und Entsperren mit Hilfe des Fingers) gegen den Willen des Angeklagten zulässig war. Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Beamten sei § 81b Abs. 1 StPO. Neben dem Entsperren des Handy durch zwangsweises Auflegen des Fingers erlaubt § 81b Abs. 1 StPO auch die zwangsweise Abnahme von Fingerabdrücken und dessen anschließende Nutzung zum Entsperren eines Mobiltelefons (LG Ravensburg, Beschl. v. 14.02.2023 – 2 Qs 9/23 jug.)
Herausgabe des PIN nicht erzwingbar
Nicht erlaubt ist es, den Beschuldigten zur Herausgabe seines PIN zu zwingen (AG Baden-Baden, Beschl. v. 13.11.2019 – 9 Gs 982/19). Dies würde gegen die Selbstbelastungsfreiheit des Beschuldigten verstoßen und wäre demnach rechtswidrig.
Derzeit noch offen: Erzwingen der sog. Face-ID
Gerichtlich noch nicht entschieden ist die Nutzung der so genannten „Face-ID“ – dem Entsperren des Handys durch Erkennung des Gesichts. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Möglichkeit der „Face-ID“ wie der Fingerabdruck als eine Verschlüsselung des Handys durch „biometrische Daten“ durch Gerichte eingeordnet wird, sobald dies zu entscheiden ist. Die Nutzung biometrischer Daten ist, wie die vorliegenden Entscheidungen bestätigen, von § 81b Abs. 1 StPO erfasst. Demnach dürfte das Entsperren des Mobiltelefons durch die Erkennung des Gesichts ebenfalls darunterfallen.
Praktisch bedeutet dies, dass Beamte dazu berechtigt sind unmittelbaren Zwang anzuwenden (zum Beispiel Fixieren des Kopfes und Vorhalten des Handy), um das Handy zu entsperren.
Wann Zwang zulässig ist, ist schwer zu beurteilen!
Jedoch ist zu betonen, dass die Anwendung des unmittelbaren Zwangs immer verhältnismäßig sein muss. Das zwangsweise Auflegen eines Fingers kann demnach nicht bei jedem Bagatelldelikt angeordnet werden. Es muss eine Abwägung zwischen dem Recht des Beschuldigten auf informelle Selbstbestimmung und dem staatlichen Interesse auf Strafverfolgung erfolgen. Diese Abwägung erfolgt immer anhand des konkreten Einzelfalls und muss unter Beachtung alles Umstände des Falles erfolgen.
Sollten Sie dazu gezwungen worden sein ihr Mobiltelefon zu entsperren, dann kann die Überprüfung dieser Maßnahme durch einen Strafverteidiger sinnvoll sein. Wurden Sie zu Unrecht gezwungen ihren PIN herauszugeben? Oder war die Vornahme einer Maßnahme Ihnen gegenüber im Vergleich zur vorgeworfenen Tat überhaupt verhältnismäßig? Diese und viele weitere Fragen kann ein Rechtsbeistand in Strafsachen für Sie überprüfen. Zudem ist es auch erforderlich, dass die Beamten Ihnen die Anwendung des unmittelbaren Zwanges zunächst androhen und Sie darüber belehren, dass dieser bei Verweigerung angewendet wird. Sollten die Beamten rechtswidrig gehandelt haben, dann könnten Sie unter Umständen dazu berechtigt gewesen sein, sich zu wehren.
Kampf ums Recht - mit versiertem Strafrechtsanwalt
Gerade wenn Widerstandshandlungen gegen Polizisten im Raum stehen, sind Milde und offene Ohren für Erklärungsversuche bei der Justiz selten vorhanden.
Engagieren Sie einen erfahren und versierten Strafverteidiger. Dieser kennt die aktuelle Rechtsprechung und kann nach schneller Akteneinsicht aufgrund seiner Erfahrung einschätzen, welche Schritte als nächstes eingeleitet werden müssen. Der Vorwurf einer Straftat sollte nie leichtfertig hingenommen werden. Frühzeitiges Engagieren eines professionellen Strafverteidigers kann auch bei schwerwiegenderen Vergehensvorwürfen dazu führen, dass das Verfahren schon im Ermittlungsstadium eingestellt wird und eine Anklage verhindert werden kann.