Es ist der Albtraum vieler Versicherter: Ein Schaden tritt ein, man meldet ihn der Versicherung in der Erwartung, dass der Schutz greift, für den man jahrelang Prämien gezahlt hat – doch die Versicherung lehnt die Leistung ab, verzögert die Bearbeitung oder stellt unzumutbare Anforderungen. Hinter solchen Praktiken kann eine Strategie stecken, die unter dem Schlagwort "Delay, Deny, Defend" bekannt geworden ist. Doch was verbirgt sich dahinter und wie ist die Rechtslage in Deutschland?


Was bedeutet "Delay, Deny, Defend"?

Der Begriff, prominent gemacht durch das Buch des US-Rechtsprofessors Jay M. Feinman ("Delay, Deny, Defend: Why Insurance Companies Don't Pay Claims and What You Can Do About It"), beschreibt eine Vorgehensweise mancher Versicherungsunternehmen, Leistungsansprüche systematisch abzuwehren, selbst wenn diese berechtigt erscheinen. Die Strategie folgt meist einem Muster:

  1. Delay (Verzögern): Die Bearbeitung des Schadensfalls wird hinausgezögert. Rückfragen werden spät oder gar nicht beantwortet, immer neue Unterlagen angefordert, Gutachten in die Länge gezogen. Ziel ist es, den Versicherungsnehmer zu zermürben oder auf Zeit zu spielen.
  2. Deny (Ablehnen): Der Anspruch wird – oft mit fadenscheinigen oder komplexen juristischen Begründungen – abgelehnt. Manchmal werden Vertragsausschlüsse bemüht, die kaum nachvollziehbar sind.
  3. Defend (Verteidigen): Zieht der Versicherungsnehmer vor Gericht, verteidigt sich die Versicherung mit maximalem Aufwand und allen juristischen Mitteln. Man setzt darauf, dass der Versicherte die Kosten und den Aufwand eines langwierigen Prozesses scheut, finanziell nicht durchhält oder in einen ungünstigen Vergleich einwilligt.

Diese Taktik zielt darauf ab, die Auszahlungen möglichst gering zu halten, indem berechtigte Ansprüche unterlaufen werden. Fälle wie der des Luigi Mangione in den USA, der mutmaßlich aus Frustration über seinen Versicherer den CEO erschoss und Patronenhülsen mit "Delay, Deny, Depose" beschriftet haben soll, haben die Debatte um solche Praktiken – wenn auch auf tragische Weise – befeuert und zeigen die Brisanz des Themas.


Ist "Delay, Deny, Defend" in Deutschland zulässig?

Grundsätzlich hat jede Versicherung das Recht, unberechtigte Ansprüche abzulehnen und sich gegen Forderungen gerichtlich zur Wehr zu setzen. Das gehört zur normalen Vertragsabwicklung.

Problematisch und rechtlich unzulässig wird es jedoch, wenn Versicherer systematisch und strategisch darauf abzielen, auch berechtigte Ansprüche nicht zu erfüllen. Ein solches Verhalten verstößt gegen grundlegende Prinzipien des deutschen Vertrags- und Versicherungsrechts:

  • Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB): Versicherer und Versicherungsnehmer sind zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet. Eine systematische Leistungsverweigerung verletzt dieses Vertrauensverhältnis fundamental.
  • Vertragliche Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB): Der Versicherer muss die Interessen des Versicherungsnehmers wahren und darf ihn nicht durch ungerechtfertigte Verzögerungen oder Ablehnungen schädigen.
  • Pflicht zur unverzüglichen Leistung: Sobald die Leistungspflicht dem Grunde und der Höhe nach feststeht, muss der Versicherer leisten. Unnötige Verzögerungen sind unzulässig.


Das Risiko des Eingehungsbetrugs (§ 263 StGB)

Geht die Strategie über eine bloße Vertragsverletzung hinaus, kann sie sogar strafrechtlich relevant werden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat klargestellt, dass ein Eingehungsbetrug vorliegen kann, wenn ein Vertragspartner schon bei Vertragsschluss nicht die Absicht hat, seine Leistungspflichten zu erfüllen.

Übertragen auf Versicherungen bedeutet das: Schließt ein Versicherer einen Vertrag ab, obwohl er von vornherein plant, unter bestimmten Umständen (oder generell) im Leistungsfall nicht zu zahlen, täuscht er den Versicherungsnehmer über seine eigene Erfüllungsbereitschaft. Denkbar sind hier verschiedene Szenarien, wie sie auch im Artikel "Versicherer im Strudel von 'Delay, Deny, Defend'" diskutiert werden:

  1. Generelle Ablehnungsabsicht: Eine interne Weisung, möglichst alle oder einen Großteil der Ansprüche abzulehnen (dies ist eher hypothetisch, da ein solches Unternehmen nicht lange existieren würde).
  2. Strukturelle Benachteiligung: Interne Richtlinien, die bestimmte Gruppen (z. B. anhand des Wohnortes oder sozialer Merkmale) von der Leistung faktisch ausschließen, weil man davon ausgeht, dass diese keinen Rechtsstreit führen können oder wollen.
  3. Ablehnung ab bestimmter Schadenshöhe: Eine interne Vorgabe, Ansprüche ab einer gewissen Summe grundsätzlich abzulehnen oder besonders intensiv zu bekämpfen, unabhängig von der Berechtigung.

Wird dem Kunden bei Vertragsschluss eine solche interne Haltung verschwiegen, schließt er den Vertrag unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ab. Er zahlt Prämien für einen Versicherungsschutz, der von Beginn an "minderwertig" ist, da die Leistungsbereitschaft des Versicherers fehlt oder von sachfremden Erwägungen abhängt. Dies kann eine strafbare Vermögensgefährdung darstellen.


Die Herausforderung: Der Nachweis

Obwohl solche Praktiken in Deutschland vermutlich seltener systematisch vorkommen als in den USA, deuten steigende Beschwerdezahlen bei der BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) – auch wenn diese nicht spezifisch nach "Delay, Deny, Defend"-Fällen aufgeschlüsselt sind – auf zunehmende Konflikte hin.

Die größte Hürde für betroffene Versicherungsnehmer ist der Nachweis, dass die Leistungsverweigerung nicht nur ein Einzelfall oder eine strittige Auslegung ist, sondern Teil einer systematischen, von vornherein bestehenden Absicht zur Nichterfüllung. Dieser Nachweis erfordert oft Einblicke in interne Vorgänge, Dokumente oder Aussagen von Insidern (Whistleblowern), die nur schwer zu erlangen sind.


Was können Sie als Versicherungsnehmer tun?

Wenn Sie das Gefühl haben, Ihre Versicherung zögert die Regulierung unnötig hinaus, lehnt Ihren Anspruch ungerechtfertigt ab oder versucht, Sie in einen Prozess zu drängen, sollten Sie handeln:

  1. Dokumentieren Sie alles: Halten Sie die gesamte Kommunikation (Briefe, E-Mails, Telefonnotizen) genau fest.
  2. Setzen Sie Fristen: Fordern Sie die Versicherung schriftlich und mit angemessener Fristsetzung zur Leistung oder zu einer nachvollziehbaren Begründung der Ablehnung auf.
  3. Lassen Sie sich nicht entmutigen: Auch wenn der Versicherer übermächtig erscheint – Sie haben Rechte.
  4. Suchen Sie frühzeitig Rechtsrat: Eine spezialisierte Anwaltskanzlei kann Ihre Ansprüche prüfen, die Korrespondenz mit der Versicherung übernehmen und Ihre Rechte notfalls gerichtlich durchsetzen. Wir kennen die Argumente und Taktiken der Versicherer und können einschätzen, ob eine Ablehnung berechtigt ist oder ob Anzeichen für eine unzulässige Verzögerungs- oder Verweigerungstaktik vorliegen.


Fazit

Das Prinzip "Delay, Deny, Defend" ist mehr als nur eine fragwürdige Geschäftspraxis – es kann eine schwerwiegende Verletzung vertraglicher Pflichten und im Extremfall sogar strafbar sein. Versicherungsnehmer sind solchen Taktiken nicht schutzlos ausgeliefert.

Wenn Sie Probleme mit der Schadensregulierung durch Ihre Versicherung haben, stehen wir Ihnen gerne zur Seite. Kontaktieren Sie uns für eine erste Einschätzung Ihres Falls.


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