1. Wann liegt ein Betriebsübergang vor?
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn der gesamte Betrieb oder ein Betriebsteil auf einen anderen Betriebsinhaber durch Rechtsgeschäft (meistens durch Unternehmenskauf) übergeht. Ob im Einzelfall tatsächlich ein echter Betriebsübergang vorliegt, ist juristisch nicht immer leicht zu beurteilen. Gemäß Rechtsprechung ist dies dann der Fall, wenn eine bestehende wirtschaftliche Einheit beim bisherigen Inhaber unter Wahrung ihrer Identität auf den neuen Inhaber übergeht. Die Arbeitsgerichte prüfen das Vorliegen eines Betriebsübergangs anhand einer Gesamtschau unter Zugrundelegung sieben unterschiedlicher Kriterien. Auf diese Kriterien soll hier nicht näher eingegangenen werden, da die betroffenen Arbeitnehmer mangels entsprechender Insider-Kenntnissen regelmäßig ohnehin nicht in der Lage sein werden, das Vorliegen der Kriterien zu überprüfen.
2. Informationsschreiben mit Widerspruchsrecht
Für die betroffenen Arbeitnehmer wird ein bevorstehender Betriebsübergang immer dann konkret, wenn sie von ihrem Arbeitgeber ein sog. „Informationsschreiben“ erhalten, welches über den Betriebsübergang und den damit verbundenen Übergang des Arbeitsverhältnisses informiert. Ab Zugang dieses Informationsschreibens läuft dann ein eimonatige Widerspruchsfrist für den Arbeitnehmer.
Bis vor kurzem hatte das Bundesarbeitsgericht sehr strenge Anforderungen an die Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit dieses Schreibens gestellt. Das Schreiben durfte keinerlei juristische Fehler enthalten. Aus Sorge, dass bei Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit des Informationsschreibens die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt, wurden diese Schreiben von den Arbeitgeber regelmäßig sehr stark mit Informationen überfrachtet und sehr rechtstechnisch formuliert. Für die betroffenen Arbeitnehmer waren die Schreiben dann nahezu unverständlich und führten eher zu Verunsicherung als zu der vom Gesetzgeber gewollten Information.
In einer aktuellen Entscheidung vom 21.03.2024 hat der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts jedoch die bisherige Rechtsprechung geändert. Es wird im Hinblick auf das Informationsschreiben nun lediglich verlangt, dass diejenigen Informationen juristisch fehlerfrei erteilt werden müssen, die für die Entscheidung des Arbeitnehmers über sein Widerrufsrecht relevant sind. Es bleibt zu hoffen, dass durch diese geänderte Rechtsprechung die Informationsschreiben zukünftig von den Arbeitgebern einfacher und verständlicher formuliert werden.
3. Vom Widerspruchsrecht Gebrauch machen oder nicht?
Nach Erhalt des Informationsschreibens über den Betriebsübergang stellt sich zunächst für die Arbeitnehmer die Frage, ob sie von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch machen oder nicht. Geht der ganze Betrieb über, so macht es meist keinen Sinn, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Die Folge des Widerspruchs wäre nämlich das Verbleiben des Arbeitnehmers beim alten Arbeitgeber. Stellt der bisherige Arbeitgeber jedoch die Geschäftstätigkeit völlig ein (weil er den gesamten Betrieb veräußert), so hat er für den Arbeitnehmer keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr und kann diesem betriebsbedingt kündigen.
Interessanter und schwieriger ist die Frage des Widerspruchs zu beantworten, wenn nicht der gesamte Betrieb, sondern nur ein Betriebsteil übergeht. Hierzu ein konkretes Beispiel: Im Jahr 2018 entschloss sich die Siemens AG den Bereich der Verkehrstechnik auf die neu gegründete Siemens Mobility GmbH zu übertragen. Dem Übergang widersprechende Arbeitnehmer verblieben dann in der Siemens AG. Dies führte selbstredend nicht automatisch zu betriebsbedingten Kündigungen, weil die Siemens AG ihren Geschäftsbetrieb bekanntlich nicht völlig aufgab, sondern sich lediglich von dem Teilbereich Verkehrstechnik trennte. Somit konnten widersprechende Arbeitnehmer durchaus in anderen Bereichen bei der Siemens AG weiterbeschäftigt werden.
In solchen Fällen müssen Pro- und Contra eines Widerspruchs sogfältig abgewogen werden. Allgemeingültige Empfehlungen/Ratschläge verbieten sich diesbezüglich. Insbesondere muss immer im Einzelfall eingeschätzt werden, ob der neue oder der alte Arbeitgeber der „bessere“ Arbeitgeber im Hinblick auf die zukünftige Arbeitsplatzsicherheit und die zukünftigen Karrieremöglichkeiten für den Arbeitnehmer ist. Teilweise öffnet sich nach einem Widerspruch auch die Türe für Gespräche über eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung. Auch diese Möglichkeit sollte bei der Entscheidung über den Widerspruch in Betracht gezogen werden. Im obigen Beispielsfall konnten wir für mehrere Mandanten der Siemens AG, welche dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Siemens Mobility GmbH widersprachen, Abfindungen von über 100.000,- € erzielen.
4. Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Arbeitgeber
Erklärt der Arbeitnehmer innerhalb der Monatsfrist keinen Widerspruch, so geht das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a Abs. 1 BGB mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Arbeitgeber über. Durch § 613a BGB stellt der Gesetzgeber sicher, dass sich durch den Betriebsübergang die rechtliche Situation des Arbeitnehmers nicht verschlechtert, sondern der status quo beibehalten wird.
Es gehen dabei nicht nur die im Arbeitsvertrag festgelegten Rechte des Arbeitnehmers auf den neuen Arbeitgeber über, sondern auch Rechte aus betrieblicher Übung. Die betrieblichen Übung wird im Volksmund oft auch als „Gewohnheitsrecht“ bezeichnet. Betriebliche Übungen sind weiderholt vom Arbeitgeber gewährte Leistungen, zu denen er eigentlich nicht vertraglich verpflichtet war (z.B. Weihnachtsgeld, Sonderzahlungen usw.). Auch diese Rechte behält der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang.
Weiter können sich Rechte des Arbeitnehmers auch aus Betriebsvereinbarungen ergeben. Dies sind Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und dem Arbeitgeber. Die Rechte aus Betriebsvereinbarungen werden im Fall des Betriebsübergangs sozusagen in den Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers „hineingelesen“, so dass der Arbeitnehmer diese Rechte auch dann behält, wenn beim neuen Arbeitgeber überhaupt kein Betriebsrat besteht, oder keine entsprechenden Betriebsvereinbarungen vorhanden sind.
Befristete Rechte des Arbeitnehmers (also beispielswiese befristete Bonusvereinbarungen, befristete Betriebsvereinbarungen u.a.) laufen jedoch trotz Betriebsübergangs mit Fristablauf automatisch aus.
Ganz konkret bedeutet dieser „Rechteübergang“ für den Arbeitnehmer folgendes:
- Der Arbeitnehmer behält sämtliche Entgeltansprüche (Grundgehalt, Leistungsbonus, Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld usw.).
- Der Arbeitnehmer behält die Urlaubsansprüche.
- Die Dauer der Betriebszugehörigkeit wird übernommen.
- Der Arbeitnehmer behält sein Anspruch auf Beschäftigung in der im Arbeitsvertrag vereinbarten Position. Allerdings hat auch der neue Arbeitgeber das arbeitsrechtliche Weisungs- bzw. Direktionsrecht, so dass Versetzungen meist möglich sind.
Darüber hinaus gewährt § 613a BGB dem Arbeitnehmer noch folgenden Schutz:
- Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer innerhalb von einem Jahr nicht wegen des Betriebsübergangs kündigen. Somit sind innerhalb des ersten Jahres betriebsbedingte Kündigungen letztlich nicht möglich.
- Weiter gibt es eine sog. „Veränderungssperre“ im Hinblick auf die Rechte des Arbeitnehmers. Im ersten Jahr nach Betriebsübergangs dürfen keinerlei Vereinbarungen zu Lasten des Arbeitnehmers getroffen werden.
Wichtig: Auch nach Ablauf des Jahres darf der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag nicht einseitig zuungunsten des Arbeitnehmers ändern. Erforderlich hierfür ist entweder eine beidseitige Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer oder der Ausspruch einer Änderungskündigung. Oftmals tritt der neue Arbeitgeber an die übernommenen Arbeitnehmer mit der Bitte heran, einen neuen Arbeitsvertrag zu unterschreiben. Dies häufig mit dem Argument, die Arbeitsverträge der durch Betriebsübergang neu hinzugekommenen Arbeitnehmer müsse mit den Arbeitsverträgen der alten Stammbelegschaft „harmonisiert“ werden. Hier empfiehlt es sich den neuen Arbeitsvertrag genau anwaltlich prüfen zu lassen. Sollte der neue Arbeitsvertrag Verschlechterungen für den Arbeitnehmer enthalten, so sollte der neue Arbeitsvertrag nicht unterschrieben werden.
Sollten Sie noch Fragen rund um das Thema Betriebsübergang haben, oder anwaltliche Unterstützung in einem konkreten Fall des Betriebsübergangs benötigen, so können Sie mich gerne kontaktieren.