Warum der steuerliche Wohnsitz entscheidend ist
Der steuerliche Wohnsitz nach § 8 Abgabenordnung (AO) bestimmt, ob eine Person in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Wer einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, unterliegt der deutschen Besteuerung mit seinem gesamten Welteinkommen.
Gerade im Zeitalter von Digitalisierung, Remote Work und internationaler Mobilität stellen sich viele Selbstständige und Unternehmer die Frage: Wann endet mein steuerlicher Wohnsitz in Deutschland wirklich?
Gesetzestext: § 8 AO – Definition des Wohnsitzes
§ 8 AO – Wohnsitz:
"Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird."
Wichtige Merkmale eines steuerlichen Wohnsitzes:
Wohnung: Eine zum dauerhaften Aufenthalt geeignete Räumlichkeit.
Innehaben: Tatsächliche Verfügungsgewalt über die Wohnung.
Benutzungsabsicht: Die Möglichkeit zur Nutzung genügt – tatsächliche Nutzung ist nicht erforderlich.
Voraussetzungen für einen Wohnsitz im Sinne des Steuerrechts:
Voraussetzung | Bedeutung |
---|---|
Wohnung | Räumlichkeit geeignet zum dauerhaften Wohnen |
Verfügungsgewalt | Schlüssel, Zugriff oder andere Kontrollrechte |
Benutzungsabsicht | Objektive Anzeichen, nicht subjektives Empfinden |
Beispiel: Eine ungekündigte Wohnung in Deutschland begründet weiterhin einen Wohnsitz, auch wenn der Steuerpflichtige faktisch dauerhaft im Ausland lebt.
Typische Irrtümer bei der Wohnsitzaufgabe
In meiner Beratungspraxis stelle ich regelmäßig fest, dass es zum Wohnsitz in Deutschland viele Irrtümer und Fehlannahmen gibt. Insbesondere die folgenden Aussagen begegnen mir häufig:
"Ich bin abgemeldet, also habe ich keinen Wohnsitz mehr." → Falsch: Die Abmeldung bei der Meldebehörde ist nur ein Indiz, aber allein nicht ausschlaggebend.
"Ich nutze die Wohnung nur selten." → Falsch: Auch eine sporadische Nutzung oder die reine Zugriffsmöglichkeit reichen aus.
"Ich wohne nur noch bei Verwandten." → Achtung: Auch ein Zimmer bei Eltern oder Freunden kann als Wohnsitz gelten.
Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen zu § 8 AO
Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) konkretisiert die Maßstäbe an den steuerlichen Wohnsitz wie folgt:
Zugriff auf Wohnung reicht aus – Nutzung nicht erforderlich (BFH, Urteil vom 23.11.2011 – I R 108/10): Die Zugriffsmöglichkeit auf eine Wohnung reicht aus. Eine Nutzung ist nicht erforderlich. Konsequenz: Ein Wohnsitz kann bestehen bleiben, selbst wenn die Wohnung faktisch nicht genutzt wird.
Keine rein theoretische Nutzung – tatsächlicher Bezug erforderlich (BFH, Urteil vom 16.01.2002 – I R 96/00): Tatsächlicher Bezug erforderlich. Reine theoretische Nutzung reicht nicht. Konsequenz: Vermietung oder Verzicht auf Zugriffsmöglichkeit kann den Wohnsitz aufheben.
Mitbenutzung des Elternhauses als Wohnsitz (BFH, Urteil vom 21.10.1997 – I R 69/96): Die Mitbenutzung des elterlichen Wohnhauses kann einen steuerlichen Wohnsitz begründen.
Konsequenz: Wer ein Zimmer bei den Eltern behalten hat, bleibt womöglich steuerlich ansässig.
Untervermietung und steuerlicher Wohnsitz
Ein echter "Dauerbrenner" ist das Thema Untervermietung. Generell ist es möglich, das eigene Haus oder die Wohnung unterzuvermieten, wenn man den Wegzug aus Deutschland plant. Erfahrungsgemäß unterlaufen bei der Umsetzung aber auch regelmäßig Fehler, die im schlimmsten Fall dazu führen, dass der steuerliche Wohnsitz nach der Untervermietung fortbesteht.
Wichtige Rechtsprechung:
BFH, Urteil vom 16.01.2002 – I R 96/00 und BFH, Urteil vom 23.11.2011 – I R 108/10 bestätigen:
Eine Untervermietung beendet den steuerlichen Wohnsitz nur dann, wenn die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Wohnung vollständig und dauerhaft aufgegeben wird.
Besteht weiterhin Zugriffsmöglichkeit (Schlüssel, Betretungsrecht), bleibt der Wohnsitz erhalten.
BMF-Schreiben vom 12.12.2023:
Auch bei Fällen mit Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) wird auf objektive Umstände abgestellt.
Subjektive Absichten oder rein formelle Gestaltungen (z.B. Scheinvermietungen) sind irrelevant.
Praxis-Tipp:
Eine wirksame Wohnsitzaufgabe bei Untervermietung erfordert stets:
Keine eigenen Schlüssel oder Zutrittsrechte
Vollständige Überlassung der Wohnung
Keine eigenständige Nutzungsmöglichkeit
Wohnwagen oder Tiny House als Wohnsitz?
Nach § 8 AO kann jede Unterkunft einen steuerlichen Wohnsitz begründen, wenn sie objektiv zum dauerhaften Aufenthalt geeignet ist. Dazu gehören unter bestimmten Umständen auch:
Wohnwagen auf einem Dauercampingplatz:
Fest installiert, mit dauerhafter Nutzungsmöglichkeit.
Vorhandene Infrastruktur wie Wasser- und Stromanschluss.
Tiny House:
Dauerhaft bewohnbar, wetterfest und mit grundlegenden Versorgungseinrichtungen ausgestattet.
Wichtig: Entscheidend sind stets die objektiven Verhältnisse – nicht der formale Charakter der Unterkunft. Auch untypische Wohnformen können einen steuerlichen Wohnsitz begründen, wenn sie tatsächlich bewohnt und genutzt werden können.
Neuerungen durch das BMF-Schreiben vom 12. Dezember 2023
Das BMF-Schreiben vom 12. Dezember 2023 – IV B 2 – S 1300/21/10024:005 bringt wichtige Klarstellungen für internationale Steuerfälle:
Unbeschränkte Steuerpflicht ≠ automatische Ansässigkeit im DBA-Sinne: Unbeschränkte Steuerpflicht nach deutschem Recht bedeutet nicht automatisch, dass eine Person auch im Sinne eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) in Deutschland ansässig ist – maßgeblich sind die besonderen Ansässigkeitskriterien des jeweiligen Abkommens.
Tie-Breaker-Regeln bei Doppelwohnsitz: Bestehen zwei Wohnsitze in verschiedenen Staaten, bestimmen die Tie-Breaker-Regeln nach dem jeweiligen DBA anhand objektiver Kriterien – wie ständige Wohnstätte, Mittelpunkt der Lebensinteressen, gewöhnlicher Aufenthalt und Staatsangehörigkeit –, in welchem Staat die Person steuerlich ansässig ist.
Objektive Prüfung: Tatsächliche Verhältnisse zählen, nicht Absichtserklärungen.
Auswirkungen auf die Steuerpflicht
Wohnsitzstatus | Steuerpflicht in Deutschland |
---|---|
Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt | Unbeschränkte Steuerpflicht (Welteinkommen) |
Kein Wohnsitz, aber deutsche Einkünfte | Beschränkte Steuerpflicht (§ 49 EStG) |
Tipps zur korrekten Wohnsitzaufgabe
Wohnung kündigen oder Dritten vollständig zur Nutzung überlassen
Schlüssel abgeben, Verfügungsgewalt aufheben
Abmeldung bei der Meldebehörde.
Neue steuerliche Ansässigkeit begründen.
Aufenthaltsorte und Zeiträume sauber dokumentieren.
Fazit: Sorgfältige Planung spart Steuern und minimiert Risiken
Der steuerliche Wohnsitz nach § 8 AO bleibt das zentrale Kriterium für die deutsche Steuerpflicht. Gerade bei internationaler Mobilität oder dauerhafter Reisetätigkeit ist eine rechtzeitige Beratung unverzichtbar, um steuerliche Risiken zu vermeiden und Gestaltungschancen optimal zu nutzen.