Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs trifft Mieter oft hart – besonders dann, wenn die eigene Lebenssituation von Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder familiären Belastungen geprägt ist. Viele Mieter gehen davon aus, dass solche Umstände sie vor einem Wohnungsverlust schützen. Doch das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg vom 27. März 2025 zeigt: Auch der Vermieter kann sich in einer Härtesituation befinden – und seine Interessen können im Einzelfall Vorrang haben.

Der Fall: Krankheit auf beiden Seiten – wer muss weichen?

Im zugrunde liegenden Fall bewohnte eine Mieterin seit 2010 mit ihrer Tochter eine rund 100 m2 große Wohnung im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses. Die Tochter befand sich in der Abiturphase, die Mieterin selbst war gesundheitlich schwer angeschlagen: Ein anerkannter Grad der Behinderung (GdB) von 50, chronische Schmerzen durch eine Trigeminusneuralgie, Lungenerkrankungen, Arthrose und Depressionen waren ärztlich diagnostiziert. Ihre Ärztin hatte ausdrücklich vor einem Umzug gewarnt – die sozialen Bindungen und die vertraute Umgebung seien für die psychische Stabilität der Mieterin von zentraler Bedeutung.

Dennoch kündigte der neue Vermieter das Mietverhältnis – mit der Begründung, er benötige die Wohnung für seine Schwester, deren Lebensgefährten und zwei Kinder. Die Schwester, so trug er vor, habe sich nach einer COVID-Infektion in einem kritischen Gesundheitszustand befunden, war zeitweise im künstlichen Koma und könne nun nicht mehr in ihre bisherige Wohnung im 5. Obergeschoss (ohne Aufzug) zurückkehren. Aus medizinischer Sicht sei eine Rückkehr unzumutbar. Die im 1. Obergeschoss gelegene Wohnung der Mieterin hingegen sei barriereärmer und zugleich in unmittelbarer Nähe zur Mutter der Familie gelegen, die ebenfalls auf familiäre Unterstützung angewiesen sei.

Die Mieterin widersprach der Kündigung unter Verweis auf ihre eigene Erkrankung und auf die schwierige Suche nach Ersatzwohnraum. Die Kündigung stelle für sie eine unzumutbare Härte dar.

Die Entscheidung: Eigenbedarf und Härte – eine schwierige Abwägung

Das Amtsgericht Brandenburg sah die Kündigung jedoch als wirksam an. Die Eigenbedarfskündigung sei formell und inhaltlich ordnungsgemäß begründet worden und das Kündigungsinteresse des Vermieters nachvollziehbar. Entscheidender Punkt war jedoch die Abwägung zwischen den Interessen der Mieterin und denjenigen der begünstigten Schwester des Vermieters.

Zwar erkannte das Gericht an, dass auch aufseiten der Mieterin eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegt – allein diese reiche jedoch nicht aus, um das Fortbestehen des Mietverhältnisses zu verlangen. Der besondere gesundheitliche Zustand der Schwester des Vermieters sei ebenso gravierend – sie könne ihre bisherige Wohnung definitiv nicht mehr nutzen. Ihre Mobilität sei stark eingeschränkt, sie benötige eine geeignete Wohnsituation in einem niedrigen Stockwerk und in familiärer Nähe. Auch das grundsätzliche Recht des Eigentümers, über die Nutzung seines Eigentums selbst zu bestimmen, spielte in der gerichtlichen Abwägung eine wichtige Rolle.

Dabei betonte das Gericht ausdrücklich, dass auch auf Vermieterseite eine relevante Härte vorliegen könne – insbesondere dann, wenn gesundheitliche Gründe, Pflegebedürftigkeit oder familiäre Notlagen die Wohnraumnutzung erforderlich machen. Die Entscheidung, ob ein Härtefall im Sinne des § 574 BGB vorliegt, ist also keine Einbahnstraße. Das Gericht muss in jedem Fall eine sorgfältige Interessenabwägung vornehmen – und diese kann auch zulasten des Mieters ausfallen.

Was bedeutet das für Mieter?

Das Urteil verdeutlicht, wie wichtig es für Mieter ist, nicht nur subjektive Härten anzuführen, sondern diese auch fundiert zu belegen. Wer eine Eigenbedarfskündigung erhält, sollte nicht zögern, rechtliche Schritte zu prüfen – aber dabei gut vorbereitet sein. Denn Gerichte wägen ab. Und das tun sie auf Basis konkreter Fakten und glaubhafter Nachweise.

Was Sie bei Eigenbedarfskündigung beachten sollten:

  • Fristen einhalten: Der Widerspruch gegen die Kündigung muss spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist schriftlich erfolgen (§ 574b BGB).

  • Härte nachvollziehbar darlegen: Ärztliche Atteste, psychologische Stellungnahmen, Schulbescheinigungen von Kindern, Pflegegutachten – je konkreter, desto besser.

  • Wohnungssuche dokumentieren: Sammeln Sie Belege über Ihre Bemühungen – E-Mails, Absagen, Anfragen.

  • Anwaltliche Beratung einholen: Gerade bei komplexen gesundheitlichen oder sozialen Umständen ist professionelle Hilfe oft entscheidend.

Fazit: Nicht jede Krankheit schützt vor Kündigung – aber Vorbereitung hilft

Auch wenn Sie als Mieterin oder Mieter in einer belastenden Lebenssituation sind, ist das nicht automatisch ein Schutz vor einer Eigenbedarfskündigung. Wichtig ist, dass Sie Ihre individuelle Lage nicht nur schildern, sondern auch belegen – und den Widerspruch gegen die Kündigung juristisch fundiert begründen. Denn wie dieses Urteil zeigt, können auch auf Seiten des Vermieters berechtigte Gründe bestehen, die in der Abwägung schwerer wiegen.

📄 Gerichtliches Aktenzeichen: AG Brandenburg, Urteil vom 27.03.2025 – 30 C 99/23


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