Mit diesem Urteil vertiefte das Landgericht ein bereits im August 2024 verkündetes Urteil – 8 O 1373/21 – zur Frage inwieweit die Natur eigene Rechte besitzt, die auch in zivilrechtlichen Streitigkeiten zu berücksichtigen seien.
Im konkreten Rechtstreit wirkten nach Auffassung des Landgerichts die Rechte der Natur bei der Berechnung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs eines Autokäufers „schutzverstärkend“.
Die Rechte der Natur ergäben sich aus der EU-Grundrechtecharta, was das Landgericht bereits in seinem vorangegangenen Urteil betonte.
Beide Sachverhalte haben Ihre Grundlage in den Fällen des VW-Abgasskandal. Den Käufern gewährte das Landgericht auf dessen Schadensersatzbegehr gegen den Hersteller Schadensersatz in Höhe von 10 Prozent des Originalkaufpreises. Damit blieb das Landgericht in der Mitte des vom Bundesgerichtshof mit Urt. v. 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 – VIa ZR 533/21 – VIa ZR 1031/22 – gesetzten Rahmens von fünf bis 15 Prozent.
In beiden Fällen musste sich das Landgericht im Detail darüber entscheiden, ob das verbaute Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung ist und inwiefern die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs den Schadensersatz „aufgezehrt“ haben. Dies nahm das Landgericht zum Anlass nunmehr vertieft die Rechte der Natur und deren mittelbaren Wirkung im Privatrecht herzuleiten.
Das Landgericht führt dazu aus, dass bei der konkreten Schadensbemessung als ein wesentliches Kriterium die Rechte der Natur durch die Beklagte verletzt worden sind. Es führt dabei auch aus, dass sich das Landgericht bewusst ist, dass es diesbezüglich mit der Auslegung der EU-Grundrechtscharta in der Judikatur Neuland betritt. Das Landgericht argumentiert unter Bezugnahme auf den Soziologen Max Weber, dass es einem „verantwortungsethischen Impetus“ entspreche auch rechtliche Wege aus der Krise zu suchen. Die Rechte der Natur seien ein solcher Weg, der sich im Unionsrecht bislang noch nicht finden lasse.
Unter Verweis auf mitgliedstaatliche Rechtsordnungen (bspw. Spanien und Frankreich), die Rechte der Natur anerkennen, argumentiert das Landgericht damit, dass die Natur selbst Grundrechtsträgerin sein könne. Personen i. S. d. EU-Grundrechtscharta seien nicht nur Menschen, sondern auch die Natur oder Ökosysteme wie Flüsse oder Wälder.
Nicht überzeugend hält das Landgericht juristische Personen als Personen anzusehen, nicht aber die Natur im Ganzen oder deren Teile als rechtsfähig anzuerkennen. In diesem Zusammenhang weist das Landgericht auf Zukunftspläne der Europäischen Union hin, Künstlicher Intelligenz Rechtsfähigkeit einzuräumen.
Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip?
In seiner Rechtsauffassung sieht das Landgericht, der Natur im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung eigene Rechte anzuerkennen, keinen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Vorzugswürdig und wünschenswert sei, dass Rechte der Natur im Wege einer Vertragsreform oder über die Unionsgesetzgebung in das Unionsrecht einzuführen. Eine vorherige richterrechtliche Anerkennung sei nicht unzulässig.
Klärung durch den EuGH?
Es ist als offen zu bewerten, ob diese Rechtsprechung in den höheren Instanzen Bestand haben wird. Rechtskräftig ist das Urteil des Landgerichts Erfurt noch nicht. Da das vorangegangene Urteil des Landgerichts von Anfang August nicht rechtskräftig geworden ist, dürfte anzunehmen sein, dass das gegenständliche Urteil ebenso durch das Oberlandesgericht Jena überprüft werden wird.
Ein weiteres Urteil der 8. Kammer des Landgerichts bzgl. der sog. „Diesel-Verfahren“ ist derzeit beim Europäischen Gerichtshof anhängig – C-276/20 –. Auch in diesem Vorlagebeschluss wir die Thematik „Rechte der Natur“ thematisiert. Hier soll der EuGH klären, ob es mit der EU-Grundrechtecharta u. a. mit den „aus ihr begründeten Eigenrechten der Natur“ vereinbar wäre, wenn sich der Schadensersatzanspruch eines Käufers im Ergebnis auf Null reduziert, nachdem Vorteile angerechnet worden sind.
Es bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH hierzu positionieren wird.