Zusammenfassung: BAG, Urteil vom 30.01.2025 – 2 AZR 68/24
Einwurf-Einschreiben reicht nicht aus: Kein Anscheinsbeweis für Zugang einer Kündigung
1. Hintergrund des Falls
Die Klägerin war seit Mai 2021 bei der Beklagten beschäftigt. Im März 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Die Klägerin klagte dagegen, unter anderem mit dem Hinweis, dass sie schwanger sei. Das Arbeitsgericht stellte später fest, dass die Kündigung unwirksam war.
Daraufhin behauptete die Beklagte, sie habe das Arbeitsverhältnis mit einem weiteren Schreiben vom 26. Juli 2022 erneut außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt. Dieses Schreiben sei als Einwurf-Einschreiben verschickt worden. Die Klägerin bestritt jedoch, dieses Schreiben überhaupt erhalten zu haben.
2. Der Streitpunkt
Im Mittelpunkt stand die Frage:
Reicht ein Einwurf-Einschreiben zusammen mit dem Sendungsverlauf aus, um zu beweisen, dass die Kündigung zugegangen ist?
Denn: Nur wenn die Kündigung tatsächlich zugegangen ist, beginnt die 3-Wochen-Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage (§ 4 Satz 1 KSchG) zu laufen.
3. Die Entscheidungen der Instanzen
• Arbeitsgericht Heilbronn (1. Instanz): Kündigung ist zugegangen – Klage abgewiesen.
• LAG Baden-Württemberg (2. Instanz): Kündigung nicht zugegangen – Klage stattgegeben.
• BAG (Revision): Bestätigt das LAG – Kündigung nicht zugegangen.
4. Die Kernaussagen des BAG
Zugang einer Kündigung (§ 130 Abs. 1 BGB):
Ein Kündigungsschreiben gilt als zugegangen, wenn es so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen davon Kenntnis nehmen kann – z.B. durch Einwurf in den Briefkasten.
Wer muss den Zugang beweisen?
Die Arbeitgeberin (Beklagte) muss beweisen, dass die Kündigung bei der Klägerin angekommen ist. Ein einfacher Versandnachweis reicht nicht.
Was hat die Beklagte vorgelegt?
• Einlieferungsbeleg des Einwurf-Einschreibens
• Online-Sendungsverlauf („Zustellung am 28.07.2022“)
Aber:
• Kein Auslieferungsbeleg
• Kein Zeuge für den tatsächlichen Einwurf
Reicht das für einen Anscheinsbeweis?
Nein.
5. Warum der Beweis nicht ausreicht
Das Gericht nennt mehrere Gründe:
1. Keine konkrete Nachvollziehbarkeit der Zustellung
2. Sendungsverfolgung reicht nicht aus
3. Kein Auslieferungsbeleg
4. Beklagte hätte Auslieferungsbeleg anfordern können – Frist versäumt
6. Konsequenzen für die Praxis
Für Arbeitgeber:innen:
• Kündigung persönlich übergeben (mit Empfangsbestätigung)
• Oder per Boten einwerfen lassen
• Oder vollständigen Auslieferungsbeleg vorlegen
Für Arbeitnehmer:innen:
• Bestreiten des Zugangs kann ausreichen, wenn kein Gegenbeweis vorliegt
7. Fazit
Das BAG betont: Der Zugang einer Kündigung muss klar nachgewiesen werden. Ein Einwurf-Einschreiben ist dabei nicht automatisch ein Beweis, dass die Kündigung auch wirklich im Briefkasten gelandet ist.
Ohne einen konkreten Zustellnachweis – etwa einen Auslieferungsbeleg – können Arbeitgeber nicht auf den „Anschein“ vertrauen, dass die Kündigung zugegangen ist.