Seitdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor einiger Zeit die Beweiskraft einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im gekündigten Arbeitsverhältnis stark eingeschränkt hat, so dass nun der Arbeitnehmer beweisen muss, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war, weitet sich die kritische Prüfung von ärztlichen Bescheinigungen durch die Gerichte weiter aus. 

Nun hatte das BAG sich in einer Entscheidung  (Urt. v. 15.01 2025, Az. 5 AZR 284/24) mit der Frage der Beweiskraft einer ausländischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im laufenden Arbeitsverhältnis zu befassen. 

Der klagende Arbeitnehmer arbeitete seit 22 Jahren bei dem Beklagten als Lagerarbeiter. Im Jahr 2022 hatte er mehrwöchigen Urlaub genommen. 2 Tage vor Ablauf des Urlaub legte er eine von einem tunesischen Arzt ausgestellte Bescheinigung vor, dass er für 24 Tage Gleichzeitig stellte er fest, dass der Kläger an Ischialbeschwerden leide und strenge strenge häusliche Ruhe einhalten müsse. Er sei nicht reisefähig. 

Der Kläger traf dennoch am Folgetag Vorbereitungen für die Rückreise und fuhr einen Tag vor Ende der AU-Zeit mit dem PKW von Tunesien nach Deutschland. 

Der Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. 

Das BAG sah nun den Beweiswert der AU-Bescheinigung als zweifelhaft an und verwies die Sache zur weiteren Verhandlung zurück. Zwar habe eine ausländische AU-Bescheinigung dann Beweiswert, wenn der ausstellende Arzt zwischen Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit differenziere, was hier vorlag. Das BAG sah jedoch den Beweiswert aufgrund der Gesamtumstände als erschüttert an. 

Im Zusammenhang mit dem Urlaub des Klägers waren nämlich schon 2017, 2019 und 2020 AU-Bescheinigungen des Beklagten eingereicht worden. Die vorliegende Bescheinigung sei auch für einen relativ langen Zeitraum von 24 Tagen ausgestellt worden, ohne dass weitere Konsultationen beim Arzt verabredet oder durchgeführt wurden. 

Auch hat der Kläger schon am Tag nach der Bescheinigung Pläne für die Rückreise gefasst und Tickets gekauft. Die Rückreise selbst erfolgte dann noch während der ärztlich verordneten Ruhezeit. 

Aus dieser Gesamtschau ergeben sich nach Ansicht des BAG Zweifel an der Richtigkeit, so dass der Kläger vollen Beweis für die Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung erbringen muss. Das LAG hatte hierüber keinen Beweis erhoben, so dass dies nun nachzuholen ist. 

Die Entscheidung steht in einer Reihe mit vorherigen Entscheidungen des BAG zur (dann im Regelfall fehlenden) Beweiskraft von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. 

Grundsätzlich kann der Arbeitnehmer durch Vorlage der von einem Arzt ausgestellten Bescheinigung den Beweis der Arbeitsunfähigkeit führen. In der Praxis war daher festzustellen, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmer nach Kündigung eines Arbeitsverhältnisses AU-Bescheinigungen vorlegten und dann für die verbleibende Vertragslaufzeit Entgeltfortzahlung erhielten, ohne dass eine Freistellung erfolgte und Urlaub genommen werden musste. Das BAG hatte dieser Konstellation schon einen Riegel vorgeschoben, indem es in einer Reihe von Entscheidungen festgestellt hat, dass der AU-Bescheinigung bei gekündigten Arbeitsverhältnis nicht die Beweiskraft zukommt, sondern dass in der Regel Vollbeweis erbracht werden muss. 

Die vorliegende Entscheidung betraf aber nun ein nicht gekündigtes Arbeitsverhältnis. Den Ausführungen des BAG kann  man aber nun entnehmen, dass auch dann der Beweiswert eingeschränkt ist, wenn der Arbeitgeber Tatsachen vortragen kann, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. 

Wie die unteren Instanzen mit dieser neuen Rechtsprechung umgehen werden, wird sich noch herausstellen müssen. 

Jedenfalls gibt die "neue" Rechtsprechung Arbeitgebern und Personalabteilungen bessere Möglichkeiten in die Hand, wenn Arbeitnehmer (vermeintlich) das Recht auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle ausnutzen bzw. missbrauchen. 

RA Heiko Effelsberg, LL.M.