1. Wer ist testierfähig bzw. testierunfähig?
Die Anordnung der Betreuung führt nicht zwangsläufig zur Annahme der Testierungsfähigkeit, weil auch testierfähige und im Übrigen auch geschäftsfähige Personen unter Betreuung stehen können.
Testierunfähig ist, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörungen nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, §§ 22, 29 Abs. 4 BGB.
Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bleibt, geht das Gesetz von der Testierfähigkeit jedes Testiermündigen aus. Die Testierfähigkeit der Testierenden wird vermutet. Entsprechend diesem Grundsatz ist ein Erblasser so lange als testierfähig anzusehen, als nicht die Testierunfähigkeit im maßgeblichen Zeitpunkt der Testamentserrichtung zur vollen Überzeugung zur Gewissheit des Gerichtes feststeht.
2. Prozessrechtliche Situation
Da die Störung der Geistestätigkeit die (faktische) Ausnahme darstellt, ist ein Erblasser bis zum Beweis des Gegenteils als testierfähig anzusehen, auch wenn er unter Betreuung stand. Dem Gericht kommt eine eigenständige Beurteilung der Testier- und Geschäftsfähigkeit zu, auch wenn im Betreuungsverfahren ein Sachverständiger zum Ergebnis gekommen ist, Geschäftsunfähigkeit sei mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. An den Beweis einer Testierunfähigkeit sind im Interesse der Rechtssicherheit besonders hohe Anforderungen zu stellen. Vollständig bewiesen werden muss insbesondere der Ausschluss der freien Willensbildung, wobei das Vorliegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit keine tatsächliche Vermutung für einen derartigen Ausschluss begründet. Dies gilt auch für Personen, für die eine Betreuung angeordnet wurde. Ein im Betreuungsverfahren eingeholtes psychiatrisches Sachverständigengutachten stellt dann keine tragfähige Entscheidungsgrundlage dar, wenn nicht nur unerhebliche Zweifel an der Testierfähigkeit bestehen.
Der Testator ist so lange als testierfähig anzusehen, wie nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist.
Bei der Feststellung der Testierunfähigkeit kann u.U. ein Anscheinsbeweis in Betracht kommen, wenn die Testierunfähigkeit vor und nach der Testamentserrichtung festgestellt wurde. Die ernsthafte Möglichkeit eines kurzzeitigen Ausschlusses der Testierunfähigkeit, während dessen das Testament errichtet worden sein soll, reicht zur Erschütterung des ersten Anscheins der uneingeschränkten Testierfähigkeit aus. Für den Beweis des ersten Anscheins genügt es, wenn es gelingt, Umstände vorzutragen, die um den Zeitpunkt der Errichtung des Testaments liegen. Wer sich in einem solchen Fall auf lichte Momente beruft, hat dafür die Beweislast.
Eine Auskunftspflicht unter Miterben über Umstände, die die Testierunfähigkeit begründen könnten, besteht nicht.
Die Beweislast für Testierunfähigkeit trifft im Rechtsstreit denjenigen, der sie behauptet.
Das Kammergericht führt in seinem Beschl. v. 7.9.1992 aus:
Zitat
„1. Der Erblasser ist so lange als testierfähig anzusehen, als nicht seine Testierunfähigkeit zur vollen Gewissheit des Gerichtes nachgewiesen worden ist. Die Feststellungslast für die Testierunfähigkeit hat derjenige zu tragen, der sich auf die Unwirksamkeit des Testaments wegen Testierunfähigkeit des Erblassers beruft.
2. Kommt ein Gericht zu dem Ergebnis, dass die durch Zeugen oder andere Beweismittel feststellbaren Tatsachen nicht ausreichen können, um den Ausnahmefall der Testierunfähigkeit des Erblassers mit Hilfe eines Sachverständigen zu begründen, darf es davon absehen, ein Gutachten erstatten zu lassen.
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Abfassung eines Testaments testierunfähig war, kommt der Aussage des Hausarztes des Erblassers und des beurkundenden Notars erhöhte Bedeutung zu. …“
Grundsätzlich muss die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments festgestellt werden. Dies kann aber zu Schwierigkeiten führen, wenn der Errichtungszeitpunkt nicht mehr festgestellt werden kann.
Lebzeitige Feststellungen zum Geisteszustand des späteren Erblassers können u.U. in einem selbstständigen Beweisverfahren getroffen werden.
Feststellung der Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit des Erblassers im selbstständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff. ZPO) ist möglich, wenn der Erblasser dies selber beantragt. Ob ein entsprechender Antrag potenzieller Erben zulässig ist, ist zweifelhaft. Jedenfalls gibt es keine gesetzliche Verpflichtung für den Erblasser, sich untersuchen zu lassen, d.h. er müsste freiwillig dazu bereit sein.
Im selbstständigen Beweisverfahren kann die Einholung eines Gutachtens zum Gesundheitszustand eines älteren Menschen in Betracht kommen. Der Umstand, dass der Erblasser noch lebt, steht der Einholung eines Gutachtens im selbstständigen Beweisverfahren zu den Voraussetzungen der Geschäftsfähigkeit nicht entgegen, wenn das Gutachten der Vermeidung eines späteren Rechtsstreits dienen kann. Ein rechtliches Interesse i.S.v. § 485 Abs. 2 ZPO kommt allerdings nicht in Betracht, wenn der Erblasser nicht bereit ist, an einer medizinischen Untersuchung mitzuwirken, und wenn außerdem keine erheblichen anderen Anknüpfungstatsachen für das Gutachten eines Sachverständigen ersichtlich sind.“
Das OLG Köln hat mit Urt. v. 13.12.1929 ein Rechtsschutzinteresse des potenziellen gesetzlichen Erben auf Klärung der Testierfähigkeit des Erblassers verneint. Der Bruder einer Testatorin, der dieser Unterhalt gewährte, erhob eine Feststellungsklage und wollte damit klären lassen, ob ein von der Testatorin errichtetes Testament rechtswirksam sei, weil erhebliche Zweifel an deren Geschäftsfähigkeit bestanden. Das OLG Köln hat ein Feststellungsinteresse verneint, weil zu Lebzeiten zwischen ihm und der Schwester kein erbrechtliches Rechtsverhältnis bestehe, hielt aber ein Beweissicherungsverfahren nach §§ 485 ff. ZPO (seit 1991 „selbstständiges Beweisverfahren“) für zulässig.
Hat der Erblasser zunächst ein formungültiges Testament errichtet und dies erst zu einem späteren Zeitpunkt durch seine Unterschrift versehen und damit formgültig gemacht, dann trifft die Feststellungslast für die Testierfähigkeit denjenigen, der sich auf die Wirksamkeit des Testaments beruft, wenn feststeht, dass der Erblasser in diesem Zeitraum zu irgendeinem Zeitpunkt testierunfähig war.
3. Erfordernis eines Sachverständigengutachtens
Auch im Zivilprozess kann trotz des dort herrschenden Beibringungsgrundsatzes ein Sachverständigengutachten von Amts wegen eingeholt werden, also ohne Antrag der beweispflichtigen Partei, §§ 144, 403, 442, 358a ZPO. Insofern nähert sich der Zivilprozess bei entsprechendem Sachvortrag der Parteien dem Amtsermittlungsgrundsatz des Erbscheinsverfahrens. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die richterliche Hinweispflicht nach § 139 ZPO.
Erforderlich ist regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens eines Psychiaters - und nicht nur eines praktischen Arztes. Zur Feststellung der Testierunfähigkeit im Prozess ist nach sorgfältiger Ermittlung des medizinischen Befundes ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten erforderlich.
Das BayObLG führt aus:
Zitat
„Die Frage, ob die Voraussetzungen der Testierunfähigkeit nach § 2229 IV BGB gegeben sind, ist im Wesentlichen tatsächlicher Natur.“
Sachverständigengutachten unterliegen der freien Beweiswürdigung. Das Gericht der Tatsacheninstanz muss das Sachverständigengutachten in jedem Fall auf seinen sachlichen Gehalt, seine logische Schlüssigkeit und darauf überprüfen, ob es von dem Sachverhalt ausgeht, den es selbst für erwiesen hält und ob die Ausführungen des Gutachtens den Begriff der Testierfähigkeit erfüllen. Will das Berufungsgericht die Ausführungen eines gerichtlich bestellten Sachverständigen anders würdigen als das erstinstanzliche Gericht, so hat es den Sachverständigen nach § 529 Abs. 1 Nr. 1, §§ 398, 402 ZPO erneut anzuhören, weil es sonst den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Die Überprüfung hinsichtlich Schlüssigkeit und Gehalt des Gutachtens muss sich nicht auf die Berücksichtigung medizinischer Detailfragen erstrecken, deren Relevanz für einen medizinischen Laien nicht ohne weiteres erkennbar ist wie die Einbeziehung bestimmter Befunde. Insoweit kann vom Gericht die für eine solche Beurteilung erforderliche medizinische Sachkunde nicht erwartet werden. Es genügt, wenn sich der Tatrichter hinsichtlich Vollständigkeit und Schlüssigkeit mit den Lücken und Widersprüchen auseinander setzt, deren Bedeutung für das Gutachtensergebnis auch für medizinische Laien erkennbar ist, und sich im Übrigen hinsichtlich spezieller medizinischer Fragen mit den nicht offensichtlich irrelevanten Einwänden gegen das Gutachten befasst, die ihm von einem Beteiligten vorgetragen werden.
Die Würdigung eines Sachverständigengutachtens kann lediglich darauf geprüft werden, ob der Tatrichter unter Nachvollziehung der Argumentation des Sachverständigen dessen Feststellungen und Schlussfolgerungen selbstständig auf ihre Tragfähigkeit geprüft und sich eine eigene Überzeugung gebildet hat. Das Sachverständigengutachten über die Testierfähigkeit eines geistig behinderten Erblassers hat sich, wenn dazu Anlass besteht, auch auf die Frage zu erstrecken, ob der Erblasser fähig und in der Lage war, sich im Zuge seiner Entscheidungsfindung einer Einflussnahme oder Manipulation Dritter zu entziehen.
Die Einholung eines Obergutachtens kommt in Betracht bei sehr schwierigen medizinischen Fragen, bei groben Mängeln des Erstgutachtens, bei Zugrundelegung unzutreffender Anknüpfungstatsachen oder wenn der neue Sachverständige über neuere bzw. bessere Erkenntnismöglichkeiten (bspw. aktuelle Forschungsmittel) verfügt.
Der behandelnde Hausarzt ist sachverständiger Zeuge (§ 414 ZPO). Will das Gericht bei seiner Entscheidung zur Testierfähigkeit die Krankenakte des Erblassers verwerten, so ist jedem Beteiligten, der Einsicht in die Krankenakte verlangt, diese Einsicht zu gewähren. Andernfalls würde das rechtliche Gehör verletzt werden. Die Vorlage der Krankenakte kann gem. § 142 ZPO erzwungen werden, wenn dem Arzt kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Zur Frage, ob dem Arzt ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann gem. § 387 Abs. 1 ZPO eine Zwischenentscheidung ergehen, die mit der Beschwerde angefochten werden kann.
Im Rahmen des Erbscheinserteilungsverfahrens bzw. des Verfahrens auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses hat das Nachlassgericht von Amts wegen zu ermitteln, ob Testierfähigkeit vorlag, §§ 26, 29, 30 FamFG. Anders als im streitigen Erbenfeststellungsverfahren trifft denjenigen, der sich auf die Testierunfähigkeit beruft, nicht die Beweislast, d.h., er muss die tatsächlichen Umstände nicht in der Weise darlegen, dass sich daraus selbst die Testierunfähigkeit ergibt. Es besteht insoweit keine „Schlüssigkeitsprüfung“. Andererseits sind nur lediglich „pauschale“ Behauptungen nicht ausreichend.
Zur Aufklärungsbedürftigkeit des Sachverhalts hat das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 22.12.1997 ausgeführt:
Zitat
„Die Beurteilung der Frage, ob ein Erblasser in der Lage ist, die Tragweite seiner letztwilligen Anordnungen abzuschätzen und frei von Einflüssen interessierter Dritter zu handeln, setzt eine sorgfältige Untersuchung unter Einbeziehung der Vorgeschichte und aller äußeren Umstände voraus.“
Sind hinreichende Zweifel für die Testierfähigkeit vorgetragen, müssen zunächst die Verhaltensweisen des Erblassers aufgeklärt werden, um Klarheit über die tatsächlichen Umstände (medizinischen Befunde etc.) zu schaffen. Danach ist zu prüfen, ob dies seitens des Gerichts für die Beurteilung ausreicht oder ob ein Sachverständigengutachten einzuholen ist. Im letzteren Fall hat das Gericht die notwendigen Begutachtungsgrundlagen durch Zeugenvernehmung und Beschaffung ärztlicher Unterlagen zu ermitteln. Der Umfang der gebotenen Ermittlung obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, und zwar auch dann, wenn z.B. unterschiedliche ärztliche Stellungnahmen über die Testierfähigkeit des Erblassers vorliegen.
Das BayObLG beanstandet es nicht, wenn das Sachverständigengutachten eine bestimmte Diagnose offenlässt. Zu klären ist aber, ob die freie Willensbestimmung des Erblassers durch die - wie auch immer geartete Krankheit - aufgehoben war. Der Erblasser muss noch zu vernünftigen Erwägungen in der Lage gewesen sein.
Ende Teil 1.
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