Ich hatte schon auf die nach unserem Empfinden relativ wenig beachtete Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hingewiesen, wonach ein Arbeitgeber Entschädigung zu bezahlen haben kann, wenn er in Kenntnis der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers kündigt, ohne zuvor die absolut notwendige Zustimmung des Integrationsamts eingeholt zu haben.
Hintergrund ist, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Mitarbeiter benachteilige, was einen Entschädigungsanspruch auslösen kann.
Das „kann“ lässt Interpretationsspielraum, was auch dazu führte, dass die Instanzgerichte nach meiner Erfahrung sehr zurückhaltend mit derlei Entschädigungsansprüchen umgingen.
Damit ist in hiesigen Breiten wohl relativ eindeutig Schluss.
Folgendes war passiert:Ein Arbeitgeber, der zuvor schon vorsichtig ausgedrückt relativ fahrlässig mit den dem Mitarbeiter zustehenden Schutzrechten bei langerandauernder Erkrankung umgegangen war, lud den Mitarbeiter zu einem Gespräch.
Unstreitig fragte er dabei, ob der Mitarbeiter denn schwerbehindert sei.
Die als Dolmetscherin hinzugezogene Ehefrau des Mitarbeiters bejahte das und wies auch auf den Grad der Behinderung von 50 hin, der einen Sonderkündigungsschutz wegen Schwerbehinderung auslöst.
Kurz darauf kündigte der Arbeitgeber, ohne die Zustimmung des Schwerbehinderten eingeholt zu haben, worauf der Mitarbeiter mit dem Hinweis auf seine bestehende Schwerbehinderung Klage erhob.
Der Arbeitgeber zog daraufhin die Kündigung zurück.
Ich habe im Anschluss eine Entschädigungsklage auf Basis eingangs erwähnter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erhoben.
Der Arbeitgeber bestritt, dass die Ehefrau des Mitarbeiters die Schwerbehinderung in besagtem Gespräch bestätigt habe.
Das Arbeitsgericht bügelte ohne Anhörung von Zeugen unsere Klage ab.
Das konnte und wollte ich auf keinen Fall hinnehmen, weil ich dieses Urteil für grundfalsch hielt, und legte Berufung ein zum Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg.
Nachdem dort die Positionen ausgetauscht waren, teilte der Vorsitzende der zuständigen Kammer den Parteien noch vor dem anzuberaumenden Termin Folgendes mit:
Es sei eindeutig, dass durch die Nichteinholung der Zustimmung des Integrationsamtes vor einer Kündigung regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung ausgelöst werden.
Denn – so das Landesarbeitsgericht – solche Pflichtverletzungen seien grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein.
Dabei komme es nicht darauf an, dass der Arbeitgeber möglicherweise gar nicht das Bewusstsein gehabt habe, den schwerbehinderten Mitarbeiter zu benachteiligen!
Auf unseren Fall bezogen bedeute das, dass das Landesarbeitsgericht die Meinung des Arbeitsgerichts nicht teile.
Folge sei, dass nun der Arbeitgeber beweisen müsse, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat, was fast nicht, auf jeden Fall nur sehr schwer zu bewältigen ist für den Arbeitgeber.
Der Weg zur Haftung ist damit frei und die Voraussetzungen wurden zu Gunsten schwerbehinderter Mitarbeiter relativ stark und eindeutig heruntergeschraubt.
Fix ist in der Sache noch nichts, weil das Gericht durch Zeugeneinvernahme noch klären muss, ob der Arbeitgeber wie von uns dargestellt und vom Arbeitgeber bestritten selbstverständlich von der Schwerbehinderung Kenntnis vor der Kündigung hatte.
Das Gericht versucht gerade, die Sache per Vergleich aus der Welt zu schaffen, was noch nicht geklärt ist.
Das ändert nichts daran, dass diese Sachverhalte sich für unvorsichtige Arbeitgeber als teure Tretmine entpuppen können, wir sprechen regelmäßig von zumindest vierstelligen Entschädigungsansprüchen.
Verfügung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 29.4.2024, 11 Sa 70/23