Diesen Satz hört man als Anwalt nicht selten von Mandanten, die ihre Forderungen im Zivilverfahren nicht durchsetzen konnten oder wenn ein Verfahren gegen einen vermeintlichen Straftäter eingestellt oder dieser freigesprochen wird. Für viele von ihnen scheint es, als ob das Rechtssystem sie im Stich gelassen hätte, weil sie mit ihren Anliegen gescheitert sind oder ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden. Oft liegt die Ursache für diese Enttäuschung im Verständnis oder vielmehr im Missverständnis der Beweislast – ein zentraler Grundsatz sowohl im Zivil- als auch im Strafverfahren.
Die Beweislast im Zivilverfahren
Im Zivilrecht gilt der Grundsatz: „Wer etwas will, muss es beweisen.“ Dieser Rechtsgrundsatz ist im deutschen Zivilprozessrecht fest verankert (§ 286 ZPO) und bedeutet, dass derjenige, der eine Forderung geltend macht, diese auch beweisen muss. Stellen wir uns vor, jemand erhebt eine Zahlungsklage und behauptet, dass der Beklagte ihm einen Betrag von 5.000 Euro schuldet. Der Kläger ist in diesem Fall verpflichtet, den Vertrag, die Zahlungsvereinbarung oder sonstige Umstände nachzuweisen, aus denen sich diese Forderung ergibt. Gelingt ihm das nicht, wird das Gericht die Klage abweisen, unabhängig davon, ob die Forderung tatsächlich besteht oder nicht.
Diese Regelung mag auf den ersten Blick hart erscheinen, doch sie dient einem höheren Prinzip: dem Schutz vor unbegründeten Ansprüchen. Ohne die Beweislastregel wäre es jedem möglich, Forderungen ohne Grundlage aufzustellen und von anderen Menschen Leistungen zu verlangen, ohne dafür Beweise vorlegen zu müssen. Das würde zu einer erheblichen Unsicherheit führen und letztlich das Vertrauen in den Rechtsstaat schwächen. Die Beweislastregel schützt also nicht nur denjenigen, der einen Anspruch geltend macht, sondern auch den, der sich gegen unberechtigte Forderungen verteidigen muss.
Die Praxis zeigt jedoch, dass Mandanten oft Schwierigkeiten haben, die notwendigen Beweise vorzulegen. Viele glauben, dass ihre bloße Behauptung ausreichend ist, um einen Anspruch durchzusetzen. Wenn dann das Gericht den Anspruch mangels Beweisen abweist, entsteht schnell der Eindruck, dass das System ungerecht sei. Hier liegt es an uns Anwälten, die Mandanten frühzeitig auf die Bedeutung und Notwendigkeit von Beweismitteln hinzuweisen und gemeinsam eine sorgfältige Beweisführung zu erarbeiten.
Die Beweislast im Strafverfahren
Im Strafrecht verhält sich die Beweislast dagegen anders. Hier gilt der Grundsatz: „Im Zweifel für den Angeklagten“ (in dubio pro reo). Dies bedeutet, dass nicht der Angeklagte seine Unschuld beweisen muss, sondern die Staatsanwaltschaft die Schuld des Angeklagten zweifelsfrei nachweisen muss. Dieser Grundsatz ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips und des Schutzes der individuellen Freiheit. Niemand soll aufgrund von bloßen Verdächtigungen oder unklaren Beweisen verurteilt werden.
Stellen wir uns vor, eine Person wird des Diebstahls beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft muss in diesem Fall beweisen, dass der Beschuldigte die Tat tatsächlich begangen hat. Gelingt es der Staatsanwaltschaft nicht, die Tat nachzuweisen, wird der Angeklagte freigesprochen. Auch wenn in der Öffentlichkeit manchmal die Meinung vorherrscht, dass ein Freispruch gleichbedeutend mit „Schuld, aber nicht erwiesen“ ist, betont das Strafrecht die Notwendigkeit eines klaren Beweises der Schuld.
Für viele Betroffene, vor allem Opfer von Straftaten, kann dies unbefriedigend sein, da es in einigen Fällen schwer sein mag, eine Straftat zweifelsfrei nachzuweisen. Auch hier gilt jedoch, dass dieser Grundsatz nicht nur den Beschuldigten schützt, sondern uns alle. Es soll verhindert werden, dass Unschuldige aufgrund von unklaren oder unzureichenden Beweisen verurteilt werden.
Fazit: Schutz durch die Beweislastverteilung
Die Enttäuschung von Mandanten, wenn ihre Forderungen nicht durchsetzbar sind oder ein Freispruch erfolgt, ist nachvollziehbar. Doch die Beweislast im Zivil- und Strafverfahren hat einen höheren Zweck: Sie schützt uns alle vor ungerechtfertigten Ansprüchen und ungerechtfertigten Verurteilungen. Das Rechtssystem muss sorgfältig abwägen, wem es die Verantwortung auferlegt, einen Sachverhalt zu beweisen. Während im Zivilrecht derjenige, der einen Anspruch erhebt, diesen auch beweisen muss, schützt das Strafrecht den Einzelnen vor Verurteilungen ohne stichhaltige Beweise. Diese Prinzipien sind essenziell für das Funktionieren eines Rechtsstaats.
Letztlich zeigt sich darin, dass die Beweislast nicht Ausdruck von Ungerechtigkeit ist, sondern ein notwendiges Instrument, um Gerechtigkeit für alle Beteiligten zu gewährleisten – auch wenn dies im Einzelfall für manche unbefriedigend erscheinen mag. Ein stärkeres Verständnis für diese Zusammenhänge kann dazu beitragen, den Glauben an den Rechtsstaat wieder zu stärken.