Wie schnell ist dies geschehen: Der Arbeitgeber schreibt eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus, beachtet die Kündigungsfrist, unterschreibt diese auch noch ordnungsgemäß und übermittelt das Kündigungsschreiben als scan-Anhang per email oder mittels sonstiger sozialer Medien…
Kurzum: Handy, Videotelefonie und Übermittlung digitaler Daten per Internet bestimmen die heute übliche Art von Kommunikation. Der Briefkontakt gilt als altmodisch, uneffektiv und aus der Zeit gefallen. Der Austausch von Informationen in Sekundenbruchteilen hat eine eigene Wirklichkeit geschaffen, die Bestandteil der Arbeitswelt geworden ist.
Nur Wenige würden deshalb Bedenken gegen diese Form des Erklärungsaustausches im Rahmen einer Kündigung äußern. Die erste Reaktion ist wohl die Gegenfrage: „Na und ? Das ist heute doch üblich !“ Sie findet schnell eine Ernüchterung beim Durchlesen der Regelung des § 623 BGB:
„Schriftform der Kündigung. Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; die elektronische Form ist ausgeschlossen.“
Die §§ 126 und 126a BGB definieren dabei präzise, was unter Schriftform bzw. elektronischer Form zu verstehen ist. helfen jedoch nicht weiter: Das elektronisch eingelesene und übermittelte Kündigungsschreiben mag ein identisches Abbild des Originals sein, verliert aber die Eigenschaft der Schriftform
Das Dilemma: Die korrekt in Schriftform abgefasste Kündigungserklärung ist dem Adressaten (Arbeitnehmer) im Original, also als Urkunde. niemals zugegangen. Durch die elektronische Übermittlung hat er dennoch Kenntnis von dessen Inhalt in Form eines elektronischen Dokuments erhalten. Dieses ist jedoch als in einer Datei zusammengefasste Struktur einzelner Daten nicht körperlich existent und stellt somit keine Urkunde im Sinne des § 126 BGB dar.
Die Folge: § 125 BGB: Nichtigkeit wegen Formmangels !
Das Ergebnis ist jedenfalls für den Arbeitgeber äußerst unbefriedigend: Vordergründig betrachtet müsste das Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit weiterbestehen. Da keine wirksame Kündigung erklärt worden ist, wäre die drei-Wochen-Frist des § 4 Abs. 1 KSchG zur Erhebung der Kündigungsschutzklage unbeachtlich. Der Arbeitnehmer müsste nur seine Arbeitskraft in nachweisbarer Form anbieten und könnte anschließend Annahmeverzugslohn verlangen, ohne dafür gearbeitet zu haben.
Dem Arbeitgeber wäre zunächst überhaupt nicht bewusst, dass das formell gekündigte Arbeitsverhältnis dennoch fortbesteht und ihn das Risiko einer fortlaufenden Lohnzahlung nebst Verpflichtung zur Abführung der Sozialabgaben träfe, und zwar ohne dass er in den Genuss der korrespondierenden Arbeitsleistung gekommen wäre. Eine Korrektur dieser verfahrenen Situation könnte nicht rückwirkend, sondern nur für die Zukunft durch nochmalige Aufkündigung in wirksamer Form (§ 623 BGB) geschehen, wäre aber aufgrund der wiederum einzuhaltenden Kündigungsfrist mit weiteren finanziellen Schäden verbunden.
Der Arbeitsgerichtsbarkeit ist das Dilemma zwischen normativen Vorgaben und sozialer Wirklichkeit durchaus bewusst. So hatte sich das BAG bereits 1999 mit einem Sachverhalt zu befassen, bei welchem der Verwirkung des Klagerechts eine entscheidende Rolle zukam (BAG Urt. vom 02. Dezember 1999 – 8 AZR 890/98).
Seitdem sind von den Landesarbeitsgerichten unterschiedliche Lösungsansätze entwickelt worden.
Wohl am meisten überzeugt hierbei der vom LAG Berlin-Brandenburg verfolgte Ansatz, den Sachverhalt der formunwirksamen Kündigung dem Erfordernis einer gemäß § 4 KSchG zu erhebenden Kündigungsschutzklage zu unterstellen, aber hierbei die dort benannte drei-Wochen-Frist großzügig um eine Überlegungsfrist von nochmals drei Wochen (dort einzelfallbezogen) zu verlängern und überaus spät erhobene Kündigungsschutzklagen über das Rechtsinstitut der Verwirkung zurückzuweisen. ( LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.08.2010 – 25 Ta 1628/10)
Demnach tritt Verwirkung nur bei Vorliegen des Zeitmoments und des Umstandsmoments ein. Diese Betrachtung ermöglicht eine Anpassung an die Besonderheiten des Einzelfalls und berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer durch verspätete Geltendmachung seiner Rechte illoyal handelt und nach Lage des Einzelfalls gegebenenfalls nicht schutzwürdig ist.
Die Verwirkung wird als Sonderfall des Verstoßes des Arbeitnehmers gegen die nebenvertragliche Treuepflicht des Arbeitnehmers in Form der unzulässigen Rechtsausübung angesehen.
Der Fachanwalt für Arbeitsrecht empfiehlt:
Form und Inhalt der Kündigungserklärung eines Arbeitsverhältnisses bedürfen zur Fehlervermeidung einer intensiven Kontrolle. Nur die in § 623 BGB genannte Schriftform zählt ! Mündliche Erklärungen, Kündigungen per Fax oder email oder email-Anhang machen die Erklärung unwirksam und führen nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses sondern zu erheblichen wirtschaftlichen Risiken.
Sowohl für den Arbeitgeber als auch den Arbeitnehmer ist die Verwirkung und deren konkrete Handhabung als prozessuales Steuerungsmittel im (erst nach Ablauf der obligatorischen drei-Wochen-Frist erhobenen) Kündigungsschutzprozess mit großen Unsicherheiten verbunden.
Der Arbeitgeber wird zusätzlich zur Klageabwehr, in der er zu erklären haben wird, aus welchen Gründen (also Verhalten des Arbeitnehmers) er auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertraut hat, vorsorglich und unverzüglich eine weitere formwirksame Kündigung erklären, um das Annahmeverzugsrisiko zu deckeln.
Der Arbeitnehmer wird es bei der Klageerhebung nicht dabei bewenden lassen können, sich auf die Forrmunwirksamkeit zu berufen, sondern sein Interesse an der Beibehaltung des Arbeitsplatzes erklären müssen (z.B. Vergleichsverhandlungen über eine Kündigungsrücknahme) und spätestens innerhalb von 2 Monaten nach Erhalt der formunwirksamen Kündigung Klage erheben, um nicht unnötige Risiken einzugehen. Er wird ebenfalls unverzüglich seine Arbeitskraft formell anbieten müssen, um sein Interesse an dem Beibehalt des Arbeitsplatzes zu unterstreichen sowie sich in Hinblick eventuelle Annahmeverzugsansprüche positiv zu positionieren.
Die Mitwirkung eines erfahrenen Fachanwalts bzw. einer erfahrenen Fachanwältin für Arbeitsrecht ist auf jeden Fall dringend anzuraten, um ein optimales Prozessergebnis zu erzielen !
Für Fragen zum Arbeits- und Versicherungsrecht steht Ihnen zur Verfügung
Rechtsanwalt Dieter W. Schmidt
Kanzlei Am Klostergarten
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