Sachverhalt
Ein seit 2009 beschäftigter Fahrausweisprüfer eines kommunalen ÖPNV‑Unternehmens stempelte seine Arbeits‑ und Pausenzeiten über eine mobile App des Zeiterfassungssystems „A“. Nachdem ein externer Sicherheitsdienst Unregelmäßigkeiten meldete – u. a. Fitnessstudio‑, Moschee‑ und Friseurbesuche während der Dienstzeit – beauftragte die Arbeitgeberin eine Detektei. Die Ermittler überwachten den Arbeitnehmer an insgesamt 21 Tagen im November und Dezember 2022. Dabei stellten sie fest, dass der Prüfer teils stundenlang privaten Tätigkeiten nachging, ohne Pausenzeiten einzutragen, und das Dienstfahrzeug für Privatfahrten nutzte.
Nach Anhörung des Ersatz‑Betriebsratsmitglieds und des Gesamtbetriebsrats kündigte die Arbeitgeberin am 02.01.2023 außerordentlich fristlos; hilfsweise sprach sie eine Verdachtskündigung aus. Zugleich verlangte sie Ersatz der Detektivkosten in Höhe von 21.608,90 €. Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage und bestritt die Vorwürfe: Das System sei unzuverlässig gewesen, Besprechungen hätten in Bäckereien bzw. einer Moschee stattgefunden und die Überwachung verstoße gegen Datenschutzrecht. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, gab der Widerklage statt. Der Prüfer legte Berufung ein.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 11.02.2025 – 7 Sa 635/23)
Das LAG wies die Berufung zurück:
Wichtiger Grund (§ 626 BGB)
Mehrfaches vorsätzliches Falschstempeln verletze die Pflicht zur korrekten Arbeitszeitdokumentation schwer und zerstöre das Vertrauen des Arbeitgebers. Schon vier dokumentierte Verstöße (09./12./13./16.12.2022) reichten aus.Interessenabwägung
Wegen des fortgesetzten Handelns, der langen Betriebszugehörigkeit ohne Reue und des Umfangs der Privatbeschäftigungen (rund 26 Stunden) sei eine Abmahnung nicht ausreichend.Zulässigkeit der Detektivüberwachung (§ 26 Abs. 1 S. 2 BDSG)
Die Observation erfolgte nur an Arbeitstagen im öffentlichen Raum und diente der Aufklärung konkreter Verdachtsmomente; sie war daher datenschutzrechtlich zulässig. Selbst ein etwaiger Verstoß hätte kein Beweisverwertungsverbot begründet, weil der Eingriff geringfügig sei.Ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung (§ 102 BetrVG)
Das Anhörungsschreiben vom 27.12.2022 schilderte alle relevanten Tatsachen; der stellvertretende BR‑Vorsitzende war zudem bei der Mitarbeiteranhörung anwesend.Ersatz der Detektivkosten (§§ 280 Abs. 1, 249 BGB)
Hat der Arbeitgeber wegen konkreten Verdachts eine Detektei beauftragt und bestätigt sich der Vorsatz, muss der Arbeitnehmer die notwendigen Kosten ersetzen. Der Prüfer schuldet daher 21.608,90 € nebst Zinsen.
Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.
Praxishinweise
Für Arbeitgeber
Zeiterfassung systematisch implementieren
Seit der BAG‑Entscheidung vom 13.09.2022 ist eine objektive Arbeitszeiterfassung Pflicht. Mobile Apps müssen zuverlässig funktionieren; Störungsmeldungen sollten dokumentiert werden.
Stufenplan bei Verdacht
Interne Prüfung: Abgleich von Zeiterfassung, GPS‑Daten des Firmenfahrzeugs, Dienstplänen.
Anhörung: Arbeitnehmer mit konkreten Vorwürfen konfrontieren; Betriebsrat frühzeitig einbinden.
Externe Observation: Erst bei greifbarem Verdacht; Auftrag eng, tageweise, nur Arbeitszeit.
Detektivkosten absichern
Beweisbare Auftrags‑ und Tätigkeitsberichte der Detektei sind zwingend, um spätere Erstattungsforderungen durchzusetzen.
Kündigung taktisch vorbereiten
Entscheidung zwischen Tat‑ und Verdachtskündigung sorgfältig treffen; im Zweifel beides kombinieren.
Kündigungsfrist fiktiv berechnen: Je nach Tarifvertrag kann eine Abwägung zugunsten Weiterbeschäftigung geboten sein.
Datenschutz bleiben BDSG‑konform
§ 26 Abs. 1 S. 2 BDSG verlangt, dass personenbezogene Daten zur Aufdeckung von Straftaten erforderlich sind und kein milderes Mittel besteht.
Für Arbeitnehmer
Dokumentationspflicht ernst nehmen
Falschstempeln kann eine Straftat (§ 263 StGB, Betrug) darstellen und gefährdet das Arbeitsverhältnis ohne Abmahnung.
Verteidigungsstrategie
Bei technischen Problemen unverzüglich den Vorgesetzten informieren, Fehlermeldung sichern.
Arbeits‑ und Pausenzeiten mit Tätigkeitsnotizen belegen; Zeugen benennen.
Datenschutz prüfen
Arbeitnehmer können Auskunft über sie betreffende Überwachungsmaßnahmen verlangen (Art. 15 DSGVO).
Unverhältnismäßige Observation kann Schadenersatzansprüche auslösen.
Compliance & Prävention
Betriebsvereinbarung Zeiterfassung
Klare Regelungen zu Pausen, Dienstwegen und mobilem Arbeiten beugen Streit vor.
Schulung & Awareness
Regelmäßige Trainings zu Arbeitszeitrecht, Datenschutz und Dienstfahrzeugnutzung reduzieren Fehlverhalten.
Technische Lösungen
GPS‑Koppelung der App, automatische Pausen‑Reminder und Audit‑Trails schaffen Transparenz und Nachweissicherheit.
Whistleblower‑Mechanismen
Hinweisgebersysteme nach dem Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) helfen, Fehlverhalten früh intern aufzudecken.
Fazit
Die Entscheidung des LAG Köln zeigt exemplarisch, dass vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug den ultima‑ratio‑Grundsatz sprengt: Schon mehrere nicht erfasste Pausen rechtfertigen eine fristlose Kündigung. Zugleich stärkt das Urteil Arbeitgebern den Rücken, legitime Detektivkosten beim überführten Arbeitnehmer geltend zu machen. Wer als Unternehmen eine saubere Dokumentation der eigenen Ermittlungsschritte vorweisen kann, minimiert Prozessrisiken. Für Arbeitnehmer unterstreicht das Verfahren, dass mobile Zeiterfassung kein unverbindlicher „Klick“ ist, sondern eine rechtsverbindliche Erklärung – wer diese manipuliert, spielt nicht nur mit seinem Job, sondern auch mit empfindlichen Regressforderungen.