Was Beschäftigte beim Streit um Annahmeverzugslohn wissen müssen
Was ist Annahmeverzugslohn überhaupt?
Stellen Sie sich vor, Ihr Chef kündigt Ihnen – zu Unrecht. Das Arbeitsgericht stellt später fest, dass die Kündigung unwirksam war. Sie wären also eigentlich weiter beschäftigt gewesen. Doch weil Sie nicht arbeiten durften, haben Sie auch keinen Lohn erhalten. Genau hier kommt der Annahmeverzugslohn ins Spiel.
Annahmeverzugslohn bedeutet:
Wenn ein Arbeitnehmer bereit und in der Lage ist zu arbeiten, der Arbeitgeber aber die Arbeitsleistung nicht annimmt (z. B. wegen einer rechtswidrigen Kündigung), muss der Arbeitgeber trotzdem den Lohn zahlen – so, als hätte der Arbeitnehmer gearbeitet.
Das steht in § 615 BGB und gilt selbst dann, wenn tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht wurde. Denn: Die Lohnzahlungspflicht entfällt nicht automatisch durch eine Kündigung – jedenfalls dann nicht, wenn sie unwirksam war.
Aber: Der Arbeitnehmer darf sich in dieser Zeit nicht einfach zurücklehnen. Er muss sich um einen anderen Job bemühen. Denn ein sogenannter böswillig unterlassener anderweitiger Verdienst (geregelt in § 11 Nr. 2 KSchG) kann auf den Lohnanspruch angerechnet werden.
Darf mein Ex-Arbeitgeber wirklich wissen, was ich in meinen Bewerbungen schreibe?
Genau darum ging es in einem aktuellen Fall vor dem Landesarbeitsgericht Köln: Ein Arbeitnehmer verlangte Annahmeverzugslohn – aber der Arbeitgeber zweifelte daran, dass er sich ernsthaft um eine neue Stelle bemüht hatte.
Der Arbeitgeber wollte daher wissen, wie die Bewerbungen konkret ausgesehen hatten – und das Gericht gab ihm Recht.
Der Fall: 65 Bewerbungen – aber keine Antworten?
Der klagende Arbeitnehmer hatte nach der Kündigung angegeben, er habe auf 40 Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit reagiert und zusätzlich 65 eigene Bewerbungen verschickt. Auf 62 davon habe er „keine Antwort“ erhalten. Eine Bewerbung sei „wegen KSch-Verf nicht genommen“ worden – also offenbar wegen eines Kündigungsschutzverfahrens.
Die Arbeitgeberin zweifelte an der Ernsthaftigkeit dieser Bewerbungen und forderte Auskunft über deren Inhalt. Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger zunächst den Annahmeverzugslohn zugesprochen – doch das LAG Köln kassierte diese Entscheidung.
Das Urteil: Auskunftspflicht bei Verdacht auf „Scheinbewerbungen“
Mit Urteil vom 7. Januar 2025 – 7 SLa 78/24 entschied das LAG Köln: Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber Auskunft über Inhalt und Form seiner Bewerbungen geben – wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese nicht ernst gemeint waren.
Warum? Weil sich ein Arbeitnehmer in der Annahmeverzugszeit um einen neuen Job bemühen muss. Wer das nur „pro forma“ tut – also etwa absichtlich unpassende oder unernste Bewerbungen verschickt –, handelt böswillig. Und dann kann der Lohnanspruch ganz oder teilweise wegfallen.
Das Gericht sah hier mehrere Indizien für „Scheinbewerbungen“:
Trotz Fachkräftemangel gab es auf 62 Bewerbungen gar keine Reaktion – ein ungewöhnliches Muster.
Eine Bewerbung enthielt offenbar den Hinweis auf ein laufendes Kündigungsschutzverfahren – was mögliche Arbeitgeber eher abschreckt.
Rechtslage: Wer muss was beweisen?
Nach § 615 BGB steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich Annahmeverzugslohn zu, wenn er zur Arbeit bereit ist. Aber nach § 11 Nr. 2 KSchG muss er sich anderweitigen Verdienst anrechnen lassen – und darf keine böswillige Unterlassungbegehen.
Der Arbeitgeber muss Indizien vorbringen, die Zweifel an den Bewerbungsbemühungen rechtfertigen. Dann ist der Arbeitnehmer in der Pflicht, sich zu erklären – und gegebenenfalls seine Bewerbungen offenzulegen.
Fehleranalyse und Praxistipps für Beschäftigte
Was hätte der Arbeitnehmer besser machen können?
Er hätte konkrete Nachweise zu seinen Bewerbungen beifügen sollen – etwa Anschreiben, Lebensläufe oder Eingangsbestätigungen.
Er hätte vermeiden sollen, ein laufendes Verfahren gegen den früheren Arbeitgeber in Bewerbungen zu erwähnen – zumindest ungefragt.
Was können Sie als Arbeitnehmer daraus lernen?
📄 Bewerbungen dokumentieren: Erstellen Sie eine Liste Ihrer Bemühungen mit Datum, Stellenbezeichnung und ggf. Ansprechpartnern.
💡 Individuell und ernsthaft bewerben: Vermeiden Sie Standardtexte oder „absichtlich abschreckende“ Formulierungen.
🤐 Keine unaufgeforderten Hinweise auf Konflikte mit dem Ex-Arbeitgeber – das kann Ihren Bewerbungserfolg erheblich schmälern.
🔎 Kooperationsbereit sein: Wenn Ihr Arbeitgeber im Prozess Auskunft über Ihre Bewerbungen verlangt, sollten Sie gut vorbereitet sein.
Fazit: Annahmeverzugslohn gibt es nicht ohne Mitwirkung
Das Urteil des LAG Köln zeigt: Wer Annahmeverzugslohn beansprucht, muss mehr tun als nur „bereit zu sein“. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich aktiv und ernsthaft um neue Arbeit zu bemühen – und dies auch nachzuweisen, wenn Zweifel bestehen.
Tipp: Lassen Sie sich frühzeitig beraten, wenn es zu einer Kündigung kommt. Mit guter Vorbereitung und klarer Dokumentation lassen sich Streitigkeiten über Annahmeverzugslohn vermeiden – oder besser durchstehen.