Immer mehr Bußgeldverfahren werden ausgesetzt, da die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch aussteht.
Keine Entscheidung zu schulpflichtigen Kindern
Bekannt dürfte sein, dass das Bundesverfassungsgericht bisher nur über Verfassungsbeschwerden zu nicht schulpflichtigen Kinder im Vorschulalter entschieden hat. Eine Entscheidung zu schulpflichtigen Kindern steht noch aus. Diese Verfahren laufen noch, vgl. Az.: 1 BvR 2700/20, 1 BvR 588/20 und 1 BvR 438/21.
Hintergrund: Freiwilligkeit der Impfentscheidung
Das Bundesverfassungsgericht hat in den bereits entschiedenen Verfassungsbeschwerden geurteilt, dass die Regelungen im Masernschutzgesetz verfassungsgemäß seien, da den Eltern die Möglichkeit offensteht, das Kind nicht in einer Gemeinschaftseinrichtung (zum Beispiel Kindergarten) betreuen zu lassen.
Eltern die sich für diesen Weg entscheiden, drohen auch keine Sanktionen wie Bußgeld, Betretungsverbot etc..
Argument der Freiwilligkeit bei schulpflichtigen Kindern problematisch
Dieses Argument für die Verfassungsgemäßheit des Masernschutzgesetzes kann naturgemäß bei schulpflichtigen Kindern nicht mehr ziehen. Aufgrund der allgemeinen Schulpflicht müssen die Kinder die Gemeinschaftseinrichtung Schule besuchen.
Das heißt die Eltern können dem Masernschutzgesetz ab einem gewissen Alter der Kinder nicht mehr ausweichen.
Zu schulpflichtigen Kindern hat sich das Bundesverfassungsgericht noch nicht geäußert. Es bleibt insoweit spannend, wie es mit dem Argument der Freiwilligkeit umgeht.
Fachgerichte tun sich schwer
Die Fachgerichte, die mit den Bußgeldverfahren beschäftigt sind (Amtsgerichte und Oberlandesgerichte) haben nun das Problem, dass vielfach schon Bußgelder bei schulpflichtigen Kindern verhängt wurden.
Hier stellt sich natürlich die Frage, ob der Vollzug des Masernschutzgesetzes verfassungsgemäß ist.
Die Fachgerichte gehen mit dieser schwierigen Ausgangslage unterschiedlich um. Das OLG Oldenburg setzt ein dort anhängiges Verfahren (Rechtsbeschwerde) geführt von Rechtsanwalt Nebel, M.A. aus:
„Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde wird bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den Verfahren 1 BvR 2700/20, 1 BvR 588/20 und 1 BvR 438/21 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zurückgestellt. Zur Begründung wird verwiesen auf die folgende Musterverfügung des OLG Celle, wobei beim OLG Oldenburg bisher nur dieses Verfahren anhängig ist:
Das vorliegende Verfahren betrifft den mit einem Bußgeld i.H. von .............. € sanktionierten Vorwurf des schuldhaften Unterlassens der Vorlage eines Nachweises über eine erfolgte Masernschutz-Impfung bzw. bestehender Immunität gegen eine Maserninfektion nach §§ 20 Abs. 8 S. 1-3, Abs. 9 S. 1 und 6 sowie Abs. 12 S. 1, Abs. 13 S. 1 für schulpflichtige Kinder. Es sind bereits mehrere gleichgelagerte Verfahren beim Senat anhängig, in denen die Entscheidung wegen der Vorgreiflichkeit der ausstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die dort anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die in § 33 Nr. 3 IfSG geregelte Nachweispflicht für die in Einrichtungen i.S. von § 33 Nr. 3 (Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen) betreuten schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen (Az. 1 BvR 2700/20, 1 BvR 588/20 und 1 BvR 438/21) zurückgestellt wurden (vgl. hierzu den Vermerk vom 14.02.2024 in 2 ORbs 7/24). Zwar haben das Bayerische Oberste Landesgericht (vgl. BayObLG, Beschl. v. 28.03.2024 – 201 ObOWi 141/24) und das Oberlandesgericht Karlsruhe (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 24.09.2024 – 2 ORbs 461/24) in zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen über einschlägigen Rechtsbeschwerden die Ansicht vertreten, dass die in Rede stehenden Regelungen des IfSG mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Jedoch soll – wie von der GenStA beantragt – auch im vorliegende Verfahren im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der anstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vorgegriffen werden.“
Das Aktenzeichen beim OLG Oldenburg ist 2 ORBs 25/25.
Auch das OLG Celle (siehe oben) und das OLG Rostock (Beschluss vom 28.10.2024, Az.: 21 ORBs 148/24) haben entsprechende Aussetzungsentscheidungen getroffen.
Andere Entscheidungen im Süden der Republik
Mit dem Bayerischen Obersten Landesgericht und dem OLG Karlsruhe liegen allerdings anderslautende Entscheidungen vor.
Diese Gerichte sahen kein Problem darin, das Masernschutzgesetz auch bei Schulkindern anzuwenden.
Dies ist insofern problematisch, als dass das Entscheidungsmonopol (sog. Verwerfungskompetenz) für Bundesgesetze beim Bundesverfassungsgericht angesiedelt ist.
Dieses soll verbindlich für das gesamte Bundesgebiet entscheiden, ob Bundesgesetze mit der Verfassung vereinbar sind.
Mit den Entscheidungen aus Süddeutschland besteht die Gefahr, dass die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht mehr gewährleistet ist. Dieser Gesichtspunkt wurde auch von der Generalstaatsanwaltschaft im Verfahren vor dem OLG Celle geltend gemacht.
Ausgesetzte Verfahren auch in Bayern
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat in einem von Rechtsanwalt Nebel, M.A. geführten Verfahren ebenfalls im Hinblick auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden ausgesetzt. Das Verwaltungsgericht Regensburg betont dabei ausdrücklich, dass es den Erfolg der anhängigen Verfassungsbeschwerden für offen hält:
" Beachtliche Gründe könnten – abweichend von der o.g. Ent-scheidung des Bundesverfassungsgerichts – u.a. darin gesehen werden, dass anders als bei Kindern, die in der Kita betreut werden, Eltern bei Schulkindern, die der Schulpflicht unterlie-gen, keine Möglichkeit haben, der Nachweispflicht „auszuweichen“, was u.U. eine faktische Impfpflicht zur Folge haben könnte. Nach alledem sieht das Gericht die Voraussetzungen für eine (analoge) Anwendung des § 94 VwGO insoweit für gegeben an.
2. Nachdem eine mögliche Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Nichtigkeit der gegenständlichen Normen ist, was dem Bescheid wohl die Regelungsgrundlage entziehen würde, geht das Gericht auch von einer Vorgreiflichkeit aus (vgl. zu den Einzelheiten bzgl. der Vorgreiflichkeit: Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 94 Rn. 4 ff.)."
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ging es um die Gültigkeit eines vorgelegten Nachweises nach § 20 Abs.9 IfSG.
Ausblick auf die weitere Rechtsprechung
Mittlerweile drei Oberlandesgerichte (und Verwaltungsgerichte) setzten also die Verfahren aus. Es ist davon auszugehen, dass weitere Amtsgerichte und Oberlandesgerichte folgen.
Die drei nördlichen Oberlandesgerichte haben in diesem Fall die besseren Argumente auf ihrer Seite.
Nicht nur die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und das Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichtes sind gewichtige Argumente. Auch die Begründung des Bundesverfassungsgerichts in der bisher ergangenen Entscheidungen lässt offen, wie dieses im Falle von schulpflichtigen Kindern entscheidet.
Daher gibt es gute Gründe, Bußgeldverfahren nicht schon jetzt rechtskräftig zu Ende zu führen.
Bei weiteren Fragen zum Masernschutzgesetz können Sie sich gerne an Rechtsanwalt Robert Nebel, M.A., wenden.
Robert Nebel, M.A.
Rechtsanwalt
Licenciado en Derecho