Seit das Masernschutzgesetz in Kraft getreten ist, wird am meisten über das Vorliegen einer Kontraindikation gestritten.
Begriff: Kontraindikation
Der Begriff Kontraindikation kommt aus der Medizin und sagt aus, dass ein bestimmter Umstand gegen die Anwendung einer Therapie beziehungsweise eines Arzneimittels bei einem Patienten spricht.
Kontraindikationen gibt es bei allen Arzneimitteln und natürlich auch bei Impfstoffen.
§ 20 Abs.9 S.1 Nr.2 2. Alternative IfSG
Die Nachweise, die im Rahmen des Masernschutzgesetzes vorgelegt werden können, sind in § 20 Abs.9 S.1 IfSG aufgeführt.
Während der Impfnachweis nach § 20 Abs.9 S.1 Nr.1 IfSG oder der Immunitätsnachweis nach § 20 Abs.9 S.1 Nr.2 1.Alternative IfSG in der Praxis selten Probleme aufwerfen, sieht es bei dem ärztlichen Zeugnis über das Bestehen einer medizinischen Kontraindikation nach § 20 Abs.9 S.1 Nr. 2 2.Alternative IfSG schon anders aus.
Gesundheitsämter lehnen solche ärztlichen Zeugnisse häufig ab und auch bei den Gemeinschaftseinrichtungen Kita oder Schule ist es nicht immer einfach, mit dieser Art Nachweis durchzukommen
Grund genug, sich die Rechtsprechung zu dieser Thematik etwas genauer anzuschauen.
Mittlerweile gibt es hierzu auch einige Entscheidungen, in erster Linie durch Verwaltungsgerichte, die man hierbei heranziehen kann.
Plausibilitätsprüfung
Zunächst gilt es festzuhalten, dass die überwiegende Mehrheit der Gerichte eine sogenannte Plausibilitätsprüfung verlangt. Dies bedeutet, dass das ärztliche Zeugnis medizinische Diagnosen enthalten muss, die für die Beurteilung des Arztes ausschlaggebend waren.
Medizinische Diagnosen oft sinnvoll
Mit ärztlichen Zeugnissen, die ausschließlich bestätigen, dass eine Kontraindikation vorliegt und keine weiteren medizinischen Angaben enthalten, wird es voraussichtlich schwer, die Nachweispflicht zu erfüllen.
Es mag sein, dass solche ärztlichen Zeugnisse für die Vorlage bei der Gemeinschaftseinrichtung ausreichen. Spätestens, wenn das Gesundheitsamt im Spiel ist, wird es jedoch problematisch.
Dieses möchte in der Regel das Zeugnis auf seine Plausibilität hin überprüfen. D.h. das Gesundheitsamt möchte nachvollziehen, wie der Arzt zu seiner Beurteilung gekommen ist.
Ähnlich sehen es die meisten Verwaltungsgerichte.
Welcher Prüfungsmaßstab gilt denn nun?
Die große Frage ist jedoch, wie es dann weitergeht. Viele Gesundheitsämter teilen die Beurteilung bzw. Einschätzung des ausstellenden Arztes nicht. Sie sind zum Beispiel der Meinung, dass die dort aufgeführten Diagnosen nicht ausreichen, um eine medizinische Kontraindikation zu begründen.
Hier kommt nun die Rechtsprechung ins Spiel.
Reduzierter Prüfungsmaßstab
Mehrere Verwaltungsgerichte sind mittlerweile der Meinung, dass sich die Prüfung der Gesundheitsämter (und auch der Verwaltungsgerichte) auf die Frage beschränken muss/soll, ob die Beurteilung des Arztes plausibel ist – sprich, ob sie grundsätzlich nachvollziehbar oder ob sie vollkommen willkürlich ist (vgl. z.B. VG Augsburg, Au 9 K 24.1077, Au 9 K 24.1080, Au 9 K 24.1086, Au 9 K 24.1088, Au 9 K 24.1089, Au 9 K 24.1090).
Ähnlich sehen es teilweise einige Gesundheitsämter selbst. Zitat aus einem Aufhebungsbescheid, Gesundheitsamt in Oberbayern:
„Zudem muss der Inhalt des ärztlichen Attests nicht vollumfänglich den Maßstab des Gesundheitsamtes beziehungsweise dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen, da die Vorlage beim Gesundheitsamt nach § 20 Abs. 12 IfSG keine fachlich abschließende Prüfung beinhaltet. Auf Grundlage dieser neuen Vorgaben können auch ärztliche Atteste mit individuell definierten Kontraindikationen gegen die Masernimpfung akzeptiert werden, wenn diese aus fachlicher Sicht nicht gänzlich unwahrscheinlich und noch vertretbar erscheinen.“
Gesundheitsamt vs. ausstellender Arzt
Dies ist ein ganz wichtiger Punkt und eine äußerst relevante Rechtsfrage:
Folgt man der oben dargestellten Rechtsansicht, obliegt es grundsätzlich dem ausstellenden Arzt, ob er zu dem Schluss kommt, dass eine Impfung kontraindiziert ist.
Dann spielt es auch keine Rolle, wenn das Gesundheitsamt zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt (nämlich dass die Impfung erfolgen kann).
Gesetzeswortlaut spricht für den ausstellenden Arzt:
Dieser prüft die Impffähigkeit
Für die hier dargestellte Rechtsansicht spricht der Gesetzeswortlaut in § 20 Abs.9 IfSG selbst:
Andernfalls würde sich nämlich die Frage stellen, warum der Gesetzgeber von den Eltern die Einholung eines ärztlichen Zeugnisses verlangt, wenn schlussendlich die Meinung des Gesundheitsamtes ausschlaggebend ist.
Der ausstellende Arzt wurde von den Eltern ja gerade mit der Frage betraut, ob das betreffende Kind impffähig ist. Zu den ärztlichen Sorgfaltspflichten bei Impfungen gehört zweifellos die Prüfung, ob der jeweilige Patient die Impfung empfangen darf.
Wenn nun das Gesundheitsamt bei jedem ärztlichen Zeugnis über das Bestehen einer medizinischen Kontraindikation selbst in eine vollumfängliche Prüfung der Impffähigkeit einsteigen darf, wird das ärztliche Zeugnis selbst vollständig entwertet und würde rechtlich im Prinzip keine Relevanz mehr aufweisen. Das ärztliche Zeugnis wäre dann lediglich Anlass für das Gesundheitsamt, mit der eigenen Prüfung der Impffähigkeit zu beginnen.
Weiterhin stellt sich die Frage, warum laut Gesetz überhaupt ein ärztliches Zeugnis vorgelegt werden soll. Man hätte folgerichtig die Prüfung der Impffähigkeit direkt bei den Gesundheitsämtern ansiedeln müssen und könnte die Ärzte völlig außen vor lassen. Diesen Weg ist der Gesetzgeber jedoch nicht gegangen.
Ausblick
Dies bedeutet, dass betroffene Eltern ganz gute Argumente an der Hand haben, um gegenüber dem Gesundheitsamt aufzutreten.
Hier sollte mit Fingerspitzengefühl und genauer Kenntnis der Rechtslage vorgegangen werden.
Wer Fragen zu der Thematik hat, kann sich gerne bei Rechtsanwalt Robert Nebel, M.A., melden.
Robert Nebel, M.A.
Rechtsanwalt
Licenciado en Derecho