Heute besprechen wir eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 15.01.2024, Az.: 20 CS 23.1910, 20 CE:

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2024-N-644?hl=true

Darin ging es um die Frage, ob bei schulpflichtigen Kindern ein Zwangsgeld angeordnet werden darf. 

Die erste Instanz hatte hier noch dem Gesundheitsamt Recht gegeben. Hieraufhin wurde Beschwerde eingelegt, die Erfolg hatte:

Der BayVGH gab dem Vater bzw. seiner Tochter Recht und kassierte die Anordnung eines Zwangsgeldes.

Im Einzelnen

Gescheitert ist das Zwangsgeld letztlich an der fehlerhaften Ermessensausübung durch das Gesundheitsamt.

Der BayVGH nimmt dabei sehr detailliert die Regelungen und Wertungen des Masernschutzgesetzes auseinander. 

Er lotet dabei das Verhältnis zwischen den verschiedenen Sanktionen Zwangsgeld und Betretungsverbot aus und kommt dabei zu bemerkenswerten Erkenntnissen:

Verhältnis Zwangsgeld und Betretungsverbot

Zunächst hält das Gericht fest, dass das Betretungs- und Tätigkeitsverbot grundsätzlich die geeignete Sanktion darstellt und demgegenüber ein Zwangsgeld nicht in Betracht kommt:

"Wird innerhalb einer angemessenen Pflicht trotz einer vollziehbaren behördlichen Anforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG kein Nachweis vorgelegt, ist im Regelfall der Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG die gesetzlich vorgesehene Konsequenz. Parallel zu einem solchen Verbot wird eine (weitere) Vollstreckung der Nachweisvorlagepflicht mittels Zwangsgeld grundsätzlich schon deshalb nicht mehr in Betracht kommen, weil für die Dauer der Wirksamkeit des Betretungs- oder Tätigkeitsverbots keine Betreuungs-, Unterbringungs- oder Tätigkeitssituation besteht, die das Erfordernis eines Impfschutzes oder einer anderweitigen Immunität nach § 20 Abs. 8 IfSG begründen würde."

Bei Ausschluss eines Betretungsverbots (bspw. bei einer schulpflichtigen Person) kann das Zwangsgeld allerdings auch nicht angewendet werden:

"Ist dagegen der Erlass eines Betretungsverbots ausnahmsweise gesetzlich ausgeschlossen – wie bei schul- und unterbringungspflichtigen Personen (§ 20 Abs. 12 Satz 5 und Satz 6 IfSG) – kann der vom Gesetzgeber damit belassene Freiheitsraum für den Verzicht auf eine Impfung nicht im Einzelfall dadurch geschlossen werden, dass im Wege einer Zwangsvollstreckung der Nachweisevorlagepflicht aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG im Ergebnis mittelbar die Durchführung der Impfung – denn nur diese stellt (anders als das Bestehen einer anderweitigen Immunität oder einer medizinischen Kontraindikation) ein individuell beeinflussbares Verhalten dar – behördlicherseits durchgesetzt wird."

Vorrang der Schulpflicht gegenüber dem Infektionsschutz

Das Gericht macht sich die Wertungen des Gesetzgebers zu eigen, der für schulpflichtige Kinder weniger Sanktionen aus dem Masernschutzgesetz vorgesehen hat. 

Das Gericht wendet diese Wertung auch auf das Zwangsgeld an:

"(...) denn der von § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG vorgesehene Ausschluss eines Betretungsverbots für Schulräumlichkeiten im Hinblick auf die schulpflichtige Antragstellerin zu 2. darf nicht im Wege einer Durchsetzung der Nachweisvorlageverpflichtung konterkariert werden. Es steht nicht im Ermessen der Gesundheitsämter, die generalisierende Entscheidung des Gesetzgebers, der Erfüllung der Schulpflicht im Einzelfall ein größeres Gewicht zuzumessen als einer Durchsetzung der Impf- oder Immunitätsvorgabe des § 20 Abs. 8 IfSG, zu korrigieren."

Weitere Ermessensfehler

Nebenbei erwähnt das Gericht noch weitere Ermessensfehler: 

Unterblieben ist sowohl die Ladung zu einer Beratung wie auch die Aufforderung zur Vervollständigung des Impfschutzes. 

Beides führt nach Auffassung des Gerichts zu einem Ermessensfehler.

Weiterer Ausblick

Die Rechtsprechung zum Masernschutzgesetz befindet sich in der Entwicklung. Hatten wir in den ersten Jahren nach Einführung des Masernschutzgesetzes viele ablehnende Entscheidungen für die Eltern, gibt es nun mehr und mehr differenzierende gerichtliche Entscheidungen, die sich auch nicht scheuen, Grundrechte zu berücksichtigen und Freiheitsräume auszuloten.

Robert Nebel, M.A.

Rechtsanwalt

Licenciado en Derecho