Am 25.10.2023 durfte der BGH sich mit der Frage beschäftigen, ob der Mieter in einem Gerichtsverfahren flunkern darf, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Kurz gesagt: Wen der Mieter innerhalb eines Rechtsstreits bewusst falsche Behauptungen aufstellt, kann das eine ordentliche Kündigung nach § 573 I S.2 Nr.1 BGB rechtfertigen. Aber: Es hängt vom Einzelfall ab. Der Richter muss die Pflichtverletzung anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen: Wie schlimm war die Lüge? Hat der Vermieter durch ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten vielleicht selbst schon „unredlich“ agiert? Und sollte das unredliche Prozessverhalten des Mieters der Abwehr einer unberechtigten Kündigung des Vermieters dienen?


Die Vermieterin einer Berliner Mehrfamilienhauswohnung hatte ihren Mietern wegen angeblich vertragswidriger Hundehaltung ordentlich gekündigt. Vor Gericht warf die Mieterin der Vermieterin vor, sie aus dem Haus mobben zu wollen. Auch vom Hausverwalter seien die Mieter beleidigt worden mit Worten wie "Scheiß Ausländer" und "Assis". Zudem habe sie zufällig ein Gespräch zwischen der Eigentümerin und einem Kaufinteressenten mitbekommen, wonach das Haus verkauft werden solle. Dies gehe aber nur, wenn alle Mieter aus dem Haus ausgezogen sind. Gestützt auf diese Aussage kündigte die Eigentümerin nunmehr fristlos, hilfsweise ordentlich. Das Landgericht Berlin gab der Räumungsklage nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB wegen bewusst unwahrer Äußerungen der Mieter statt.


Der für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH hob die Entscheidung auf (Urteil vom 25.10.2023 – VIII ZR 147/22). Ehrverletzende Äußerungen im Räumungsprozess seien nicht automatisch als Kündigungsgrund einzuordnen. Vielmehr müssten die Äußerungen der Mieter, so die Karlsruher Richterinnen und Richter, im Einzelnen abgewogen werden.


Der BGH warf dem LG vor, die Bedeutung und Tragweite der unwahren Behauptung des Mieters unter Berücksichtigung des gegebenen Sinnzusammenhangs mit dem Verhalten der Vermieterin beziehungsweise ihres Hausverwalters nur unzureichend bewertet zu haben. Die Vorwürfe des Mieters ließen – entgegen der Ansicht des LG – nicht bedenkenlos auf eine erhebliche schuldhafte Pflichtverletzung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB schließen. In die gebotene Würdigung hätte ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einbezogen werden müssen. Das LG hätte daher prüfen müssen, ob das Vorbringen der Mieter zu den beleidigenden Äußerungen des Hausverwalters ihnen gegenüber ("Scheiß Ausländer", "Assis"), das sie unter Beweis gestellt hatten, der Wahrheit entspreche. Auch hätte berücksichtigt werden müssen, ob das unredliche Prozessverhalten der Mieter der Abwehr einer unberechtigten Kündigung des Vermieters dienen sollte. Dann könnte dem Fehlverhalten ein geringeres Gewicht beizumessen sein.


Nachträglich entstandene Kündigungsgründe – wie angeblich gegen den Hausverwalter gerichtete Morddrohungen in einem Telefonat – können dem BGH zufolge nicht nach § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB nachgereicht werden. Hier fehle es schon an Feststellungen im Berufungsurteil. Darüber hinaus könnten solche Gründe zum Schutz des Mieters nur ausnahmsweise dann herangezogen werden, falls die Wirksamkeit der ursprünglichen Kündigung feststehe. Der Vermieter könne aufgrund neuer Sachverhalte jederzeit neu kündigen, sodass er nicht benachteiligt werde.


BGH, VIII ZR 147/22 vom 25.10.2023