Ein aktuelles Urteil des SG München vom 29.02.2024, Az. S 49 KA 5037/23 könnte weitreichende Auswirkungen für Medizinische Versorgungszentren haben. Letztlich steht die Frage im Raum, ob ein zugelassenes Medizinisches Versorgungszentrum Honoraransprüche gegenüber der zuständigen Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung hat, auch wenn (vorübergehend) kein ärztlicher Leiter bestellt ist. Das SG hat den Honoraranspruch verneint und die beklagte KZV zu einer Neubescheidung verpflichtet, in der im Rahmen einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honoraranspruch auf Null zu reduzieren ist.
Der Leitsatz des Gerichts lautet:
"Notwendige Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung eines MVZ ist, dass dieses tatsächlich über einen (zahn-)ärztlichen Leiter verfügt. Leistungen, die von einem MVZ erbracht werden, das keinen (zahn-)ärztlichen Leiter hat, der die Betriebsabläufe tatsächlich steuert und sicherstellt, dass (zahn-)ärztliche Entscheidungen unabhängig von sachfremden Erwägungen getroffen werden, sind sachlich rechnerisch zu berichtigen, unabhängig davon, dass das MVZ weiter über eine Zulassung verfügt."
Im vorliegenden Verfahren hatte der klagende Krankenkassenverband gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung beantragt, einen Bescheid über eine sachlich-rechnerische Richtigstellung gegenüber einem zahnärztlichen MVZ zu erlassen, weil dieses vorübergehend über keine zahnärztliche Leitung verfügt hat. Antrag und Widerspruch wurden von der KZV zurückgewiesen, wogegen der Krankenkassenverband (erfolgreich) Klage eingelegt hat.
Der Sachverhalt ist recht einfach.
Das im Verfahren beteiligte MVZ hatte 2021 eine Zulassung erhalten. Eine Zahnärztin war als ärztliche Leiterin bestellt. Diese wurde schwanger. Am 29.07.2021 sprach der Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen als Trägerin des MVZ gegenüber der ärztlichen Leiterin ein vollständiges Beschäftigungsverbot gemäß dem Mutterschutzgesetz mit Wirkung zum 29.07.2021 aus. Am 25.10.2021 teilte die Trägergesellschaft dies dem Zulassungsausschuss mit und beantragte, einen anderen Zahnarzt mit Wirkung zum 25.11.2021 als ärztlichen Leiter zu bestellen. Der Zulassungsausschuss hob daraufhin mit Bescheid vom 24.11.2021 die Bestellung der Zahnärztin mit Wirkung zum 24.11.2021 auf und bestellte den neuen ärztlichen Leiter ab dem 25.11.2021. Eine rückwirkende Aufhebung der Bestellung der Zahnärztin sei nicht möglich, auch wenn diese wegen des Beschäftigungsverbots nicht tätig geworden sei.
Das Sozialgericht hat den Widerspruchsbescheid aufgehoben und festgestellt, dass die im Zeitraum vom 29.07.2021 bis 23.11.2021 erbrachten Leistungen nicht rechtmäßig erbracht worden seien, weil das MVZ entgegen der gesetzlichen Anforderungen keine ärztliche Leitung gehabt habe.
Die Ausführungen sind für die Praxis eines MVZ verheerend, wenn sie wortwörtlich angewandt werden. Danach soll mit dem Verlust des ärztlichen Leiters eine zwingende Voraussetzung für ein MVZ entfallen, die nicht unter die 6 Monatsfrist fällt, innerhalb derer die Voraussetzungen wieder hergestellt werden können. Die ärztliche Leitung sei auch konstitutiv für das MVZ und damit grundsätzlich Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Leistungserbringen.
Dass keine ärztliche Leitung vorlag, hat das Gericht nach Anhörung der Beigeladenen entschieden, denn die ärztliche Leiterin war unstreitig wegen des Beschäftigungsverbots nicht mehr kurativ tätig. Sie habe nur noch formal als Ansprechpartnerin in organisatorischer Hinsicht zur Verfügung gestanden. Dies genügte dem SG nicht aus, um von einer ärztlichen Leitung zu sprechen, auch weil offen blieb, was sie überhaupt noch getan hat.
Für Betreiber eines MVZ bedeutet dies, dass sie im Falle eines längerfristigen Ausfalls des ärztlichen Leiters unverzüglich den Zulassungsausschuss informieren müssen und eine Neubesetzung des ärztlichen Leiters vornehmen müssen. Für die Übergangszeit muss wenigstens nachvollziehbar eine Vertretungsregelung mit dokumentierten Verantwortlichkeiten getroffen werden.
Wie dies praktisch insbesondere in kleinen MVZ erfolgen soll, bleibt offen, insbesondere auch, weil nicht alle Zulassungsausschüsse ein eiligen Fällen schnell entscheiden können.
RA Heiko Effelsberg, LL.M.