Was ist das NCMEC und wie entstehen die Meldungen?
Das National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) ist eine private, nichtstaatliche Organisation in den USA, die unter anderem Meldungen zu Kinder- und Jugendpornografie weiterleitet. Es arbeitet mit großen Internetdienstleistern und Plattformen zusammen und verarbeitet täglich zehntausende Verdachtsmeldungen.
Diese Meldungen basieren häufig auf automatisierten Erkennungssystemen, die Bilder und Videos mit bekannten Missbrauchsdarstellungen vergleichen (sogenannte Hash-Werte). Ein positiver Treffer wird dann als Verdachtsfall gemeldet.
Wie gelangen NCMEC-Meldungen nach Deutschland?
Das NCMEC übermittelt seine Meldungen an das Bundeskriminalamt (BKA). Das BKA prüft daraufhin, ob ein Anfangsverdacht besteht, und übermittelt die Daten an die zuständigen Landeskriminalämter (LKA) und Staatsanwaltschaften.
Basierend auf einer solchen Meldung kann die Polizei eine Hausdurchsuchung durchführen lassen, wenn ein Ermittlungsrichter dies anordnet.
Sind NCMEC-Meldungen ein sicheres Beweismittel?
Nein, denn es gibt erhebliche rechtliche und technische Probleme mit diesen Meldungen:
- Fehlende Transparenz
Deutsche Ermittlungsbehörden haben keinen Einblick in die technischen Methoden und Algorithmen, mit denen das NCMEC Meldungen erstellt. - Keine individuelle Prüfung
Das NCMEC gibt selbst zu, dass viele Verdachtsfälle automatisch erstellt werden. Die betroffenen Bilder oder Videos werden oft gar nicht von einem Menschen geprüft. - Falsche Verdachtsmeldungen
Es gibt zahlreiche Fehlalarme, z. B. durch harmlose Familienfotos oder Bilder, die fälschlicherweise als illegal eingestuft wurden. - Fehlende direkte Beweise
Eine NCMEC-Meldung zeigt oft nur eine IP-Adresse oder einen Online-Account, aber nicht, welche Person eine Datei tatsächlich hochgeladen oder besessen hat.
Kann eine NCMEC-Meldung allein eine Hausdurchsuchung rechtfertigen?
In der Praxis ja, aber das ist rechtlich umstritten.
- Einige Gerichte, wie das LG Bamberg und das LG Paderborn, halten eine NCMEC-Meldung für ausreichend, um einen Anfangsverdacht zu begründen.
- Andere Gerichte, wie das AG Reutlingen, sind kritischer und verlangen zusätzliche Beweise, bevor eine Durchsuchung angeordnet wird.
Tipp für Betroffene: Falls bei Ihnen aufgrund einer NCMEC-Meldung eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde, sollten Sie prüfen lassen, ob ein Beweisverwertungsverbot geltend gemacht werden kann.
Wie kann man sich gegen einen NCMEC-Vorwurf verteidigen?
Wenn Sie mit einem Strafverfahren aufgrund einer NCMEC-Meldung konfrontiert sind, gibt es verschiedene Verteidigungsstrategien:
- Keine ausreichenden Beweise für eine Straftat
Die Meldung enthält oft nur eine IP-Adresse, aber keine direkte Verbindung zu einer bestimmten Person oder einem bestimmten Gerät. Ohne zusätzliche Beweise kann kein hinreichender Tatverdacht bestehen, der eine Anklage rechtfertigt. - Technische Fehler und Fehlinterpretationen
Dateien können versehentlich auf ein Gerät gelangen, z. B. durch automatische Downloads in Messenger-Gruppen. Der Besitz einer Datei setzt voraus, dass der Betroffene diese Datei auch tatsächlich wahrgenommen hat. - Kein „Verbreiten“ durch Cloud-Uploads
Der Upload einer Datei in eine private Cloud oder einen E-Mail-Entwurf bedeutet nicht automatisch, dass sie verbreitet wurde. Beispiel: Wer ein Bild versehentlich in seine eigene Google-Foto-Galerie hochlädt, begeht keine Straftat nach § 184b StGB. - Automatische Speicherung und Zwischenspeicher (Cache)
Viele Messenger-Apps und Browser speichern Bilder automatisch im Cache oder in versteckten Systemordnern. Ein reiner technischer Download reicht nicht aus, um eine bewusste Handlung nachzuweisen. - Gelöschte Dateien sind nicht immer relevant
Wurde eine Datei nur mit Spezialsoftware der Polizei wiederhergestellt, kann ein Besitzverhältnis entfallen sein. Rechtsprechung: Der Besitz erlischt, wenn eine Datei nicht mehr bewusst zugänglich ist.
Gibt es ein Beweisverwertungsverbot für NCMEC-Meldungen?
Bisher gibt es kaum Urteile, die ein generelles Beweisverwertungsverbot für NCMEC-Daten anerkennen.
Allerdings argumentieren einige Juristen, dass die Nutzung von NCMEC-Meldungen durch deutsche Behörden verfassungsrechtlich problematisch ist, weil:
- Private Unternehmen und NGOs eigentlich keine staatlichen Strafverfolgungsaufgaben übernehmen dürfen.
- Der Datenfluss vom NCMEC an deutsche Behörden nicht vollständig überprüfbar ist.
Fazit: Es gibt hier eine offene rechtliche Frage, die möglicherweise in Zukunft vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt.
Muss mir ein Pflichtverteidiger gestellt werden?
Ja, in vielen Fällen.
Wenn Ihnen Besitz oder Verbreitung von Kinder- oder Jugendpornografie vorgeworfen wird, ist die Verteidigung oft kompliziert und technisch anspruchsvoll.
- Nach § 140 Abs. 2 StPO besteht ein Fall notwendiger Verteidigung.
- Sie haben Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, wenn Sie sich selbst nicht ausreichend verteidigen können.
Gerichte haben in mehreren Fällen bestätigt, dass in Verfahren mit Kinder- und Jugendpornografie regelmäßig eine Pflichtverteidigung notwendig ist, insbesondere wenn:
- Die Beweismittel aus einem englischsprachigen CT-Report stammen.
- Der Beschuldigte die Akte nicht vollständig selbst einsehen kann.
Was sollten Sie tun, wenn Sie betroffen sind?
Wenn Sie von einer Hausdurchsuchung oder einem Strafverfahren aufgrund einer NCMEC-Meldung betroffen sind, sollten Sie schnell handeln:
- Keine Aussage ohne Anwalt!
Machen Sie von Ihrem Schweigen als Beschuldigter Gebrauch. Jede Aussage kann später gegen Sie verwendet werden. - Einen spezialisierten Anwalt hinzuziehen!
Das Thema ist hochkomplex und erfordert einen Verteidiger mit Erfahrung in IT- und Strafrecht. - Beweise und Akteneinsicht prüfen!
Wurde die Meldung von einem Menschen überprüft?
Gibt es konkrete Beweise für einen Vorsatz? - Technische Analyse durchführen lassen!
Wurde eine Datei automatisch gespeichert?
Wurde Ihr Account gehackt oder missbraucht? - Auf mögliche Beweisverwertungsverbote hinweisen!
Die Rechtmäßigkeit der Datennutzung durch deutsche Behörden sollte angezweifelt werden.
Fazit
NCMEC-Meldungen spielen eine zentrale Rolle in der Strafverfolgung von Kinder- und Jugendpornografie in Deutschland. Es gibt jedoch zahlreiche rechtliche und technische Unsicherheiten, die in der Verteidigung genutzt werden können.
Betroffene sollten sich unbedingt von einem erfahrenen Strafverteidiger beraten lassen, um ihre Rechte effektiv zu verteidigen.
Ihr Rechtsanwalt und Strafverteidiger
Christian Keßler
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