Private Anleger haben grundsätzlich die Möglichkeit, Verluste aus Kapitalanlagen nur mit anderen Einkünften aus Kapitalanlagen zu verrechnen. Das bedeutet beispielsweise, dass Verluste aus Aktien nicht mit gewerblichen Einkünften ausgeglichen werden können.

Nach § 20 Abs. 6 EStG wird eine Schedulenbesteuerung für Einkünfte aus Kapitalvermögen festgelegt. Zusätzlich umfasst diese gesetzliche Regelung spezifische Einschränkungen für bestimmte Verluste, etwa aus Aktienverkäufen, Termingeschäften oder Forderungsausfällen, deren rechtliche Zulässigkeit jedoch infrage gestellt wird.

Die Verlustverrechnung wird gemäß § 20 Abs. 6 EStG in ihrer Anwendung begrenzt.

Für Aktiengeschäfte legt § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG eine Einschränkung der Verlustverrechnung fest. Verluste aus Aktiengeschäften können nur mit Gewinnen aus Aktiengeschäften verrechnet werden, ein Ausgleich mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen ist nicht möglich.

Zusätzlich enthält § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG eine Begrenzung der Verlustverrechnung für Termingeschäfte. Die Regelung erlaubt es, Gewinne aus Termingeschäften und Stillhalterprämien nur bis zu einem Betrag von 20.000 € pro Kalenderjahr steuerlich abzusetzen. Die sogenannte „zeitlich gestreckte Verlustnutzung“ verhindert dabei, dass Gewinne aus Termingeschäften, die innerhalb eines Jahres erzielt wurden, vollständig mit den Gewinnen desselben Jahres ausgeglichen werden.

Der BFH hält die Verlustverrechnungseinschränkung sowohl inhaltlich als auch in Bezug auf die Höhe für verfassungswidrig

Mit seinem Urteil vom 17. November 2020, Az. VIII R 11/18, erklärte der BFH die Regelung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG a.F. (heute Satz 4) für verfassungswidrig. Nach Auffassung des BFH sollten Verluste aus Aktien (z.B. aus der Veräußerung von Wirecard-Aktien) auch mit anderen Kapitaleinkünften, wie Dividenden und Zinsen, verrechnet werden können. Dies könnte dazu führen, dass private Anleger, die auch andere Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielen, Verluste schneller steuerlich geltend machen können.

Zusätzlich äußerte das FG Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss vom 5. Dezember 2023 (Az. 1 B 1674/23) ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der seit 2021 geltenden Verlustverrechnungsbeschränkung für Verluste aus Termingeschäften. Der BFH stimmte dieser Einschätzung zu (Beschluss vom 7. Juni 2024, Az. VIII B 113/23) und bestätigte, dass das FG Rheinland-Pfalz zu Recht die Vollziehung ausgesetzt hatte. Eine summarische Prüfung (§ 69 Abs. 3 FGO) ergab, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids bestehen.

Die Begründung lautet im Wesentlichen wie folgt: Die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist bei einer summarischen Prüfung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Beschränkung, Verluste aus Termingeschäften nur mit Gewinnen aus anderen Termingeschäften und Stillhalterprämien verrechnen zu können, stellt eine ungleiche Behandlung dar. Diese Ungleichbehandlung wird durch die zusätzliche Einschränkung verschärft, dass Verluste und Gewinne aus Termingeschäften im Verlustjahr auf maximal 20.000 EUR begrenzt werden, während für Aktiengeschäfte eine unbeschränkte Verlustverrechnung im gleichen Jahr zugelassen ist (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG). Diese Regelung führt dazu, dass nicht realisierte Gewinne besteuert werden.

Die doppelte Begrenzung des Verlustausgleichs und der Verlustverrechnung bewirkt eine zeitliche Streckung der Verlustverrechnung für Termingeschäfte. Eine solche zeitliche Streckung ist verfassungsrechtlich nur dann nicht zu beanstanden, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Verlustausgleich in der Gesamtperiode vollständig ausgeschlossen wird. Bei § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist jedoch gerade nicht davon auszugehen. Denn die Verlustverrechnung ist nur möglich, wenn in den Folgejahren Gewinne aus Termingeschäften erzielt werden – was typischerweise nicht zu erwarten ist. Dieser Effekt wird durch die jährliche Begrenzung auf 20.000 EUR noch verstärkt. Im vorliegenden Fall müsste der Antragsteller mehr als 10 Jahre warten, um einen Verlust von rund 207.000 EUR mit positiven Einkünften aus Termingeschäften und Stillhalterprämien verrechnen zu können.

Zudem benachteiligt die Regelung Verluste aus Termingeschäften, da diese nicht bereits im Rahmen des Steuerabzugs mit anderen Kapitalerträgen ausgeglichen werden.

Auswirkungen auf die Praxis

Der Beschluss des BFH ist für alle noch offenen Fälle von Bedeutung. Wenn im Rahmen der Veranlagung ein Verlustausgleich bzw. eine Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 oder 5 EStG angewendet wird, sollte gegen die Bescheide Einspruch eingelegt werden. Zudem empfiehlt es sich, gegebenenfalls die Aussetzung der Vollziehung zu beantragen. Aufgrund des BFH-Beschlusses ist es wahrscheinlich, dass das Finanzamt einer solchen Aussetzung stattgeben wird.

Der BFH wird in einem Hauptsacheverfahren über die Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte entscheiden. In einem aktuellen Fall hat das FG Baden-Württemberg die gesetzlich vorgesehene Verlustverrechnungsbeschränkung für verfassungsgemäß erklärt (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. April 2024, Az. 10 K 1091/23). Gegen dieses Urteil läuft derzeit ein Revisionsverfahren vor dem BFH. Wenn sich der Einspruchsführer auf dieses Musterverfahren beruft, tritt eine gesetzlich vorgeschriebene Verfahrensruhe ein.

Es wird erwartet, dass die betreffende Rechtsfrage im Hauptsacheverfahren dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird. Das BVerfG wird dabei nicht nur die Frage der Verlustverrechnung bei Aktienveräußerungsverlusten (BFH, Vorlagebeschluss vom 17. November 2022, Az. VIII R 11/18, BStBl II 2021, 562, Az. des BVerfG: 2 BvL 3/21) zu klären haben, sondern auch die Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbegrenzung bei Termingeschäftsverlusten.