Einleitung
Seit dem 1. Januar 2025 gelten in Deutschland neue, strengere Regeln für den Abschluss von Restschuldversicherungen (RSV). Diese Änderung, verankert im Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZufiG), zielt darauf ab, Verbraucherinnen und Verbraucher effektiver vor potenziell ungünstigen und übereilt abgeschlossenen RSV-Verträgen zu schützen. Die Neuregelung ist eine Reaktion auf langjährige Kritik an Verkaufspraktiken und mangelnder Transparenz in diesem Segment und stärkt die Position der Verbraucher im Finanzsektor signifikant.
Die Kernregelung: Gesetzliche Wartefrist in § 7a VVG
Das Herzstück der Neuregelung findet sich im neu gefassten § 7a des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Dieser Paragraph schreibt nun eine zwingende Wartefrist von sieben Tagen vor:
„§ 7a Querverkäufe Abs. 5 S. 1 VVG
Der Versicherer darf einen Restschuldversicherungsvertrag, der sich auf einen Verbraucherdarlehensvertrag bezieht, nur dann abschließen, wenn der Versicherungsnehmer die Versicherungserklärung frühestens eine Woche nach Abschluss des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrags abgegeben hat."
Das bedeutet konkret: Erst wenn seit der Unterzeichnung des Darlehensvertrags mindestens eine volle Woche (sieben Tage) vergangen ist, darf der Verbraucher seine Vertragserklärung zum Abschluss der RSV wirksam abgeben. Ein sofortiger Abschluss der RSV zusammen mit dem Kreditvertrag ("im Paket") ist damit ausgeschlossen.
Hintergrund und Ziele der Neuregelung
Der Gesetzgeber reagierte mit § 7a VVG auf die in der Praxis häufig beobachtete Problematik, dass Verbraucher beim Abschluss eines Kredits unter Druck gesetzt wurden, gleichzeitig eine oft teure und nicht immer bedarfsgerechte RSV abzuschließen. Die Gründe für die Einführung der Wartefrist sind daher:
- Schaffung einer "Abkühlphase": Die siebentägige Frist soll Verbrauchern ermöglichen, die Notwendigkeit und die Konditionen einer RSV in Ruhe zu prüfen, ohne den unmittelbaren Druck der Kreditsituation.
- Förderung informierter Entscheidungen: Verbraucher erhalten Zeit, unabhängige Informationen einzuholen, Angebote verschiedener Anbieter zu vergleichen und sich gegebenenfalls beraten zu lassen.
- Prävention von Übervorteilung: Die Entkopplung von Kredit- und Versicherungsabschluss soll verhindern, dass Verbraucher aus einer Verhandlungsschwäche heraus ungünstige Verträge akzeptieren.
Die Verfassungsbeschwerde der Versicherungswirtschaft
Gegen die Einführung der Wartefrist in § 7a VVG durch das Zukunftsfinanzierungsgesetz legten Vertreter der Versicherungswirtschaft Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein.
- Begründung der Beschwerdeführer: Die Beschwerde wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Regelung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Versicherer und Vermittler (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie in die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) darstelle. Argumentiert wurde, dass die Wartefrist den Vertrieb von RSV erheblich erschwere und keine milderen Mittel zur Erreichung des Verbraucherschutzziels geprüft worden seien.
- Entscheidung des BVerfG: Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (BVerfG, Beschluss vom 14. Dezember 2023 – Az. 1 BvR 1795/23). Das Gericht stellte fest, dass der Gesetzgeber mit der Regelung seiner Schutzpflicht gegenüber Verbrauchern nachkomme. Der Eingriff in die Grundrechte sei angesichts des wichtigen Ziels des Verbraucherschutzes in diesem spezifischen Marktumfeld gerechtfertigt und nicht unverhältnismäßig. Die Wartefrist sei ein geeignetes Mittel, um informierte Entscheidungen zu fördern und strukturellen Nachteilen für Verbraucher entgegenzuwirken.
Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die Wartefrist
Ein Verstoß gegen die zwingende Wartefrist des § 7a VVG hat gravierende Konsequenzen: Der Restschuldversicherungsvertrag ist nichtig (gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot).
- Für Verbraucher: Bereits gezahlte Versicherungsprämien können vom Versicherer zurückgefordert werden. Der Anspruch ergibt sich aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs.1 Satz1 Alt.1 BGB), da die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgte.
- Für Anbieter: Neben der Nichtigkeit des Vertrages und der Rückzahlungspflicht können Aufsichtsbehörden (wie die BaFin) bei systematischen Verstößen weitere Maßnahmen ergreifen.
Mögliche Inspiration: Das britische Modell (PPI)
Die deutsche Regelung ist zwar eigenständig, doch Parallelen zu internationalen Entwicklungen sind erkennbar. Insbesondere in Großbritannien führten massive Probleme mit dem Verkauf von Payment Protection Insurance (PPI), dem britischen Pendant zur RSV, zu einem der größten Finanzskandale. Die britische Finanzaufsicht (FCA) reagierte mit weitreichenden Maßnahmen, die teilweise über die deutsche Wartefrist hinausgehen, wie z.B. strengere Informationspflichten, Eignungsprüfungen und in bestimmten Konstellationen sogar ein Verbot des Verkaufs zum Zeitpunkt des Kreditabschlusses (Point-of-Sale Ban). Die deutsche Wartefrist kann als ein Versuch gesehen werden, ähnliche Probleme mit einem etwas milderen, aber dennoch wirksamen Mittel anzugehen.
Kritische Würdigung und differenzierte Alternativen zur RSV
Die Wartefrist ist ein wichtiger Schritt, doch ihr Erfolg hängt davon ab, wie Verbraucher diese Zeit nutzen. Eine RSV ist nicht per se schlecht, aber oft teuer und der Versicherungsschutz teilweise lückenhaft (z.B. bei Arbeitslosigkeit oft erst nach Wartezeiten und nur für begrenzte Dauer). Bevor eine RSV abgeschlossen wird, sollten Verbraucher – idealerweise während der Wartefrist – prüfen:
- Besteht überhaupt ein Absicherungsbedarf? Sind andere Vermögenswerte, Einkünfte des Partners oder bereits bestehende Versicherungen vorhanden, die im Notfall einspringen könnten? Wie hoch ist das tatsächliche Risiko (z.B. bei Beamten vs. Angestellten in konjunkturanfälliger Branche)?
- Sind spezifischere Versicherungen sinnvoller?
- Risikolebensversicherung: Sichert das Todesfallrisiko oft deutlich günstiger ab. Relevant bei hohen Kreditsummen und Alleinverdienern.
- Berufsunfähigkeitsversicherung (BU): Bietet umfassenden Schutz bei Verlust der Arbeitskraft. Ist aber voraussetzungsreicher im Abschluss und teurer, deckt dafür aber den Lebensunterhalt und nicht nur die Kreditrate. Eine bestehende BU kann ausreichen.
- Krankentagegeldversicherung: Kann Einkommenslücken bei längerer Krankheit schließen.
- Unfallversicherung: Deckt Invalidität nach einem Unfall ab.
- (Hinweis: Der Abschluss separater, bedarfsgerechter Policen ist oft vorteilhafter, erfordert aber mehr Eigeninitiative und Beratung.)
- Reichen gesetzliche Leistungen und eigene Rücklagen? Arbeitslosengeld oder Krankengeld bieten nur eine Grundabsicherung. Ein Notgroschen kann kurzfristige Engpässe überbrücken, reicht aber selten für langfristige Kreditausfälle.
Fazit und Ausblick für die Rechtspraxis
Die Einführung der Wartefrist nach § 7a VVG ist eine bedeutende Stärkung des Verbraucherschutzes im Bereich der Restschuldversicherungen. Sie zwingt zu einer Entkopplung von Kredit- und Versicherungsgeschäft und fördert eine bewusstere Entscheidung. Für die Rechtspraxis bedeutet dies:
- Verbraucher haben nun eine gesetzlich verankerte Bedenkzeit und bessere Argumente gegen aufgedrängte Verträge.
- Die Nichtigkeit von Verträgen bei Fristversäumnis bietet eine klare Rechtsfolge und Rückforderungsmöglichkeiten für Prämien.
- Es ist zu erwarten, dass Streitigkeiten über die Einhaltung der Frist (Beginn, Dauer, Nachweis der Einhaltung) zunehmen könnten.
Als Anwaltskanzlei beraten wir Sie gerne zu allen Fragen rund um Restschuldversicherungen, Darlehensverträge und die Durchsetzung Ihrer Rechte bei Verstößen gegen die neue Gesetzgebung. Prüfen Sie insbesondere bei älteren, aber auch bei nach dem 01.01.2025 abgeschlossenen Verträgen, ob die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden.