BFH, Beschluss vom 27.05.2024 – II B 78/23 –
Mit dem Beschluss vom 27.05.2024 – II B 78/23 – bestätigte der Bundesfinanzhof den Beschluss des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.11.2023 – 4 V 1295/23 –.
Damit wies der Bundesfinanzhof die Beschwerde des Finanzamts bzgl. des stattgegebenen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuerwertfeststellung im sog. Bundesmodell zurück.
Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs im Leitsatz der Entscheidung sind die Bewertungsvorschriften der §§ 218 ff. des Bewertungsgesetzes i. d. F. des Grundsteuerreformgesetzes vom 26.11.2019 (BGBl. 2019, 1794) dahin auszulegen, dass auf der Ebene der Grundsteuerwertfeststellung im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts erfolgen kann. Hierfür sei regelmäßig der Nachweis erforderlich, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit den festgestellten Grundsteuerwert derart unterschreiten kann, dass sich der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist.
Es bestehen einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zu Grunde liegenden Bescheids bzgl. der auf die Höhe festgestellten Grundsteuerwerts. Diese Zweifel ergeben sich daraus, dass dem Steuerpflichtigen bei verfassungskonformer Auslegung der Bewertungsvorschriften die Möglichkeit eingeräumt werden muss, bei einer Verletzung des Übermaßverbots einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen (Rn. 27 des Beschlusses).
Bei der Neuregelung der Grundsteuer hat der Gesetzgeber allein an das Innehaben von Grundbesitz und die damit verbundene (abstrakte) Leistungskraft angeknüpft, ohne dass es auf die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen, die Ausdruck seiner subjektiven Leistungsfähigkeit sein können, ankommt (Rn. 30 des Beschlusses). Nach der gesetzgeberischen Vorstellung sei der Belastungsgrund die gegebene Möglichkeit den Grundbesitz ertragsbringend zu nutzen.
Die Beachtung des Übermaßverbots und damit eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Besteuerung ist wegen der Belastungsgrundentscheidung daher grundsätzlich nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel orientiert. Ergibt sich im Einzelfall ein Unterschied zwischen dem gemäß §§ 218 ff. Bewertungsgesetz ermittelten Wert und dem gemeinen Wert, so ist dieser auf Grund der typisierenden und pauschalierenden Wertermittlung des Bewertungsgesetzes grundsätzlich hinzunehmen (Rn. 31 des Beschlusses).
Eine solche Regelung ist jedoch nur solange verfassungsgemäß, wie ein Verstoß gegen das Übermaßverbot im Einzelfall entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewendet werden kann. Das Übermaßverbot kann insbesondere dann verletzt sein, wenn sich der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs setzt dies voraus, dass der vom Finanzamt festgestellte Wert dem nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40 Prozent oder mehr übersteigt (vgl. BFH, Urt. v. 16.11.2022 – II ZR 39/20 –).
Im vorliegenden Streitfall hat die Antragstellerin konkrete Umstände des Einzelfalls (schlechter Zustand des Hauses auf Grund des Alters) vorgetragen, die den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts für die gesamte wirtschaftliche Einheit mit der erforderlichen Abweichung vom Finanzamt festgestellten Grundsteuerwert im Hauptsacheverfahren möglich erscheinen lassen.
Reaktion:
Nach den Beschlüssen des Bundesfinanzhofs haben die Länder mittlerweile die Finanzämter angewiesen, wie in der Praxis mit Bewertungsbescheiden umzugehen ist; diese Erlasse sind bereits am 24.06.2024 ergangen. Die Grundstückseigentümer können die Aussetzung der Vollziehung des Wertbescheids beantragen. Dafür muss schlüssig dargelegt werden, dass der Grundsteuerwert den Verkehrswert um mindestens 40 Prozent übersteigt. Besteht hier der Verdacht, dass die ermittelten Werte für die neue Grundsteuer deutlich zu hoch sind, muss die Feststellung ausgesetzt werden. Ist die Differenz kleiner als 40 Prozent, ändert sich an der pauschalierten Festsetzung nichts. Den Steuerpflichtigen trifft hier die Nachweislast.
Diese Erlasse stellen keine Weisungen für die Finanzämter in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Hamburg dar, da diese Bundesländer eigene Gesetzte erlassen haben.
Fazit:
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hatte „ernstliche Zweifel“ an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Bewertungsregeln formuliert. Der Bundesfinanzhof hat keine konkrete Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit getroffen. Vorliegend kam der Bundesfinanzhof zu dem Ergebnis, das bei summarischer Prüfung nicht auszuschließen ist, dass auf Grund einzelfallbezogener Besonderheiten der erfolgreiche Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts mit der erforderlichen 40-prozentigen Abweichung zu den festgestellten Grundsteuerwert der betroffenen Grundstücke gelingen kann. Eine abschließende Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des neuen Bewertungsrechts ist damit nicht verbunden.
Beachtenswert ist, dass der Bundesfinanzhof unter Verweis auf die Bundestagsdrucksache ausführt, dass nach der gesetzgeberischen Vorstellung der Belastungsgrund in der gegebenen Möglichkeit den Grundbesitz ertragsbringend zu nutzen, zu sehen sei. Dies sah auch das Finanzgericht Köln in seinem Urteil vom 19.09.2024 – 4 K 2189/23 – so. Das Finanzgericht geht sogar soweit, dass der Belastungsgrund anhand der Gesetzesbegründung die durch das Innehaben von Grundbesitz vermittelte (objektive) Leistungsfähigkeit zu sehen sein soll. Damit sei das Bemessungsziel erkennbar. Sollte der Bundesfinanzhof im Hauptascheverfahren bei seiner Auffassung hinsichtlich des Belastungsgrundes bleiben, so dürfte er sich damit gegen die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrmals deutlich gemacht, dass, um den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, der spezifische Belastungsgrund der Grundsteuer im Gesetz erkennbar klar zu regeln ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 13.04.2017 – 2 BvL 6/13 –; Urt. v. 10.04.2018 – 1 BvL 11/14 u. a.). Eine ausdrückliche Regelung zum Belastungsgrund findet sich im Grundsteuergesetz nicht. Daher dürfte anzunehmen sein, dass sich damit auch das Bundesverfassungsgericht zu beschäftigen haben dürfte.
Gleiches dürfte auch für den Einwand bezüglicher vieler Überschneidungen mit der Einkommensteuer und der früheren Vermögenssteuer. Diese Entscheidung sei jedoch eine politische Entscheidung, die dem Gesetzgeber obliege, so das Finanzgericht Köln, Urt. v. 19.09.2024 – 4 K 2189/23 –. Bislang sei die Grundsteuer als Sollertragssteuer ausgestaltet gewesen und mit ihren Überschneidungen nicht beanstandet worden. Hierbei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass eine Sollertragssteuer typisierend aus dem Vermögen heraus belastet du damit die Verwendung aus früheren Einkommen besteuert wird. Dies dürfte mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht nach Art. 14 GG ebenfalls einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zukommen.