Gemäß § 2303 BGB hat jede gesetzlich erbberechtigte Person einen Anspruch auf einen bestimmten Anteil am Nachlass. Dieser wird Pflichtteil genannt und bezieht sich grundsätzlich ausschließlich auf das Vermögen, das der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes besaß. Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat, fallen in der Regel nicht unter diesen gesetzlichen Pflichtteil und mindern somit den Anteil, der den gesetzlichen Erben zusteht.
Anspruch auf Pflichtteilsergänzung bei Schenkungen
Hat ein Erblasser zu Lebzeiten Vermögen verschenkt, so kann der Pflichtteilsberechtigte gemäß § 2325 BGB zusätzlich zu seinem gesetzlichen Anteil einen Anspruch auf Ausgleich geltend machen. Dabei wird rechnerisch so getan, als ob die verschenkten Werte noch zum Nachlass gehören (fiktiver Nachlass). Würde der Erblasser beispielsweise ein Haus im Wert von 200.000 Euro verschenkt haben, würde dieser Wert bei der Berechnung des Pflichtteils so behandelt, als ob das Haus noch zum Nachlass gehörte. Der Anspruch nennt sich Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Niederstwertprinzip
Bei Schenkungen von Sachwerten (z.B. Immobilien, Aktien) muss für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung und zum Todeszeitpunkt des Erblassers ermittelt werden. Das Gesetz sieht das sogenannte Niederstwertprinzip vor: Für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs gilt der niedrigere Wert, angepasst an die allgemeine Wertentwicklung (Kaufkraftindex). Auch der Erbe selbst kann einen solchen Anspruch haben, wenn er weniger erhalten hat als ihm bei Berücksichtigung des fiktiven Nachlasses zustehen würde. Er muss sich aber auch erhaltene Zuwendungen anrechnen lassen.
Wann erhöht eine Zuwendung den Pflichtteil?
Jede Zuwendung, die als Schenkung gilt, kann den Pflichtteil der gesetzlichen Erben mindern. Das bedeutet, dass beispielsweise die unentgeltliche Übertragung einer Immobilie oder der Verzicht auf eine Forderung den Nachlass erhöht und somit den Pflichtteil verringert. Ausnahmen bilden bestimmte Vereinbarungen zwischen Ehegatten.
Abschmelzung von Schenkungen – § 2325 Abs. 3 BGB
Schenkungen, die den Pflichtteilsergänzungsanspruch eines Erben beeinflussen können, unterliegen der sogenannten Abschmelzung. Nach § 2325 Absatz 3 BGB verringert sich der Wert einer Schenkung für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs jährlich um 10%. Das bedeutet, dass zehn Jahre nach der Schenkung ihr Wert für die Berechnung des Anspruchs normalerweise auf Null reduziert ist.
Ausnahmen von der Abschmelzung:
- Schenkungen an den Ehegatten: Für Schenkungen zwischen Ehegatten gilt diese Regelung in der Regel nicht bzw. sie gilt erst ab Eintritt der Ehescheidung.
- Vorbehalt von Rechten: Hat sich der Schenker bestimmte Rechte an der verschenkten Sache vorbehalten, wie beispielsweise ein Nießbrauchrecht oder ein Wohnrecht, kann dies dazu führen, dass die Abschmelzung nicht beginnt. Ob dies der Fall ist, hängt von der konkreten Ausgestaltung des vorbehaltenen Rechts ab. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein vorbehaltenes Wohnrecht die Abschmelzung hemmt, wenn der Schenker dadurch weiterhin maßgeblich über die Nutzung der Sache bestimmen kann.
Warum ist die Abschmelzung relevant?
Die Abschmelzungsregel soll sicherstellen, dass Schenkungen, die vor langer Zeit getätigt wurden, nicht übermäßig in die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs einfließen. Sie ermöglicht es Erblassern, ihre Vermögensübertragungen flexibler zu gestalten und gegebenenfalls Pflichtteilsansprüchen vorzusorgen.
Anstandsschenkungen – § 2330 BGB:
Als Anstandsschenkungen bezeichnet man übliche Geschenke zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder Weihnachten. Diese dienen in der Regel der persönlichen Verbindung. Gemäß § 2330 BGB erhöhen solche Schenkungen weder den Pflichtteil noch den Anspruch auf Pflichtteilsergänzung. Das bedeutet, dass diese Geschenke keinen Einfluss auf die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs haben.
Wer haftet?
Wenn jemand weniger erhält als ihm gesetzlich zustehen würde, kann er in bestimmten Konstellationen nicht nur den Erben, sondern auch den Beschenkten in Anspruch nehmen. Der Anspruch gegen den Beschenkten verjährt jedoch schneller, da für den Verjährungsbeginn der Zeitpunkt des Todes maßgeblich ist (und nicht das Kalenderjahresende).
Anrechnung von Schenkungen?
Hat ein gesetzlicher Erbe neben seinem gesetzlichen Erbteil zu Lebzeiten des Erblassers Schenkungen erhalten, so müssen diese auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch angerechnet werden. Das bedeutet, dass der Wert dieser Schenkungen von dem Betrag abgezogen wird, den der Erbe zusätzlich zum gesetzlichen Erbteil fordern kann. Diese gesetzliche Regelung (§ 2327 BGB) gilt unabhängig davon, ob bei der Schenkung ausdrücklich eine Anrechnung vereinbart wurde oder nicht.
Auskunftspflicht des Erben
Möchte ein Pflichtteilsberechtigter seinen gesetzlichen Anteil am Nachlass geltend machen, hat er das Recht, vom Erben umfassende Auskunft über alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Erblassers zu verlangen, § 2314 BGB. Dies beinhaltet insbesondere auch Informationen über Schenkungen, die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat. Dabei ist der Erbe verpflichtet, auch über Schenkungen Auskunft zu erteilen, die er selbst für unbedenklich hält.
Auskunftspflicht des Pflichtteilsberechtigten
Der Pflichtteilsberechtigte muss jedoch auch seinerseits den Erben darüber informieren, ob er selbst ausgleichspflichtige Schenkungen vom Erblasser erhalten hat.
Gerichtliche Durchsetzung
Sollten sich die Parteien außergerichtlich nicht einigen können, wird häufig eine Klage vor Gericht nötig sein. Hierbei ist meistens die Stufenklage das Mittel der Wahl, da bei dieser der Antrag noch nicht beziffert werden muss, jedoch gleichzeitig die Verjährung gestoppt wird
Wir unterstützen Sie gerne.
Gerne beraten unsere sherb Rechtsanwälte und Fachanwälte für Erbrecht aus Frankfurt und Berlin Sie bundesweit hierzu sowie zu sämtlichen weiterführenden Fragen des Pflichtteilsrechts und des Erbrechts.