Bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) gehen jährlich rund 320.000 Anträge auf Zahlung einer vollen Erwerbsminderungsrente ein. Lediglich ca. 45% dieser Anträge sind erfolgreich. Das heißt, dass jedes Jahr rund 170.000 Menschen einen Ablehnungsbescheid erhalten. Sollten auch Sie betroffen sein, beachten Sie folgende Tipps:
Tipp 1 - Widerspruch einlegen
Legen Sie Widerspruch ein. Beachten Sie dabei die Rechtsbehelfsbelehrung, die Sie am Ende des Ablehnungsbescheids finden. Durch den Widerspruch zwingen Sie die DRV dazu, Ihre Angelegenheit erneut zu prüfen. Im Widerspruchsverfahren können Sie deutlich machen, dass und warum Sie entgegen der Auffassung des Rentenversicherungsträgers erwerbsgemindert sind. Ihrer Auffassung können Sie durch die Vorlage (aktueller) Unterlagen Ihrer Ärzte und Therapeuten Nachdruck verleihen.
Tipp 2 - Geduld haben
So banal der Tipp auch klingen mag, so wichtig ist er in der Praxis. Ist Ihr Rentenantrag abgelehnt worden, kann es Monate oder auch Jahre dauern bis die Überprüfung des angefochtenen Ablehnungsbescheids abgeschlossen ist. Dies gilt natürlich insbesondere dann, wenn der Widerspruch erfolglos geblieben ist und Klage zum Sozialgericht erhoben werden muss. Vielschichtig sind die Gründe für die lange Dauer der Verfahren. Nicht zuletzt mangelt es an geeigneten Gutachtern. Wartezeiten im Vorfeld einer gutachterlichen Untersuchung können dazu führen, dass allein das Widerspruchsverfahren ein Jahr und länger dauert.
Tipp 3 - Versicherungsschutz aufrechterhalten
Die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung hängt nicht nur von medizinischen Aspekten ab. Vielmehr sind auch versicherungsrechtliche Voraussetzungen zu erfüllen. Insbesondere müssen in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Monate mit Pflichtbeiträgen im Versicherungskonto belegt sein. Pflichtbeiträge werden u.a. durch Erwerbstätigkeit oder den Bezug von Kranken- und Arbeitslosengeld generiert. Ist eine Erwerbstätigkeit gesundheitsbedingt nicht mehr möglich und der Anspruch auf die o.g. Leistungen erschöpft, kann eine Lücke im Versicherungsverlauf entstehen, die den Versicherungsschutz gefährdet. Eine lange Verfahrensdauer befeuert die Problematik.
Beachten Sie in diesem Kontext die Hinweise der DRV „zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit“, die regelmäßig als Anlage zum Ablehnungsbescheid (V0090) übersandt werden. Auch zu dieser komplexen Problematik haben Sie gegenüber der DRV einen Anspruch auf umfassende Beratung. Sie können sich z.B. an eine der Auskunfts- und Beratungsstellen des Rentenversicherungsträgers in Ihrer Nähe wenden.
Tipp 4 - Den Maßstab für die Beurteilung von Erwerbsminderung kennen
Die regelmäßig entscheidende Frage, ob die Auswirkungen Ihrer Gesundheitsstörungen so schwerwiegend sind, dass Erwerbsminderung eingetreten ist, beurteilt sich nicht danach, ob Sie Ihre bisherige Beschäftigung, z.B. als Industriearbeiter*in, Verkäufer*in oder Teamleiter*in, noch ausüben können. Besteht insoweit auch länger Arbeitsunfähigkeit, so bedeutet dies nicht automatisch, dass auch Erwerbsminderung eingetreten ist.
Der Maßstab für die Prüfung von Erwerbsminderung ist vielmehr die Frage, ob noch eine Tätigkeit unter „den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes“ verrichtet werden kann. Der „allgemeine Arbeitsmarkt“ umfasst dabei grundsätzlich jede Tätigkeit, die üblicherweise auf dem Arbeitsmarkt vorzufinden ist.
Die DRV wird (vereinfacht ausgedrückt) also prüfen, ob Ihnen z.B. leichte Büro-, Sortier- oder Aufsichtstätigkeiten unter betriebsüblichen Bedingungen noch mindestens sechs Stunden täglich zugemutet werden können. Der Umstand, dass Sie in Ihrem bisherigen Beruf nicht mehr leistungsfähig sind, ist für die Beurteilung der Erwerbsminderung demgegenüber unbedeutend.
Tipp 5 - Machen Sie sich klar: Meistens entscheidet das psychiatrische Gutachten!
In den meisten Fällen kommen Renten wegen Erwerbsminderung allein wegen körperlicher Gesundheitsstörungen nicht in Betracht. Aus physischen Beeinträchtigungen resultieren zumeist „nur“ qualitative Leistungseinschränkungen. So können z.B. auch bei erheblichen Skelettschäden häufig noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich und mehr verrichtet werden.
Um zu einer relevanten quantitativen (zeitlichen) Leistungslimitierung von unter drei bzw. unter sechs Stunden arbeitstäglich zu gelangen, müssen in der Regel psychische Leistungsbeeinträchtigungen hinzutreten. Ob diese in einem leistungsrelevanten Ausmaß vorliegen, lässt die DRV (oder im Rechtsstreit das Sozialgericht) bei entsprechenden Anzeichen regelmäßig durch psychiatrische Fachgutachter*innen prüfen. Deren Leistungsbeurteilung bildet dann häufig die entscheidende Grundlage für den Ausgang des Rentenverfahrens.
Beachten Sie dabei auch, dass es für die Beurteilung von Erwerbsminderung nicht auf die Art oder Anzahl der festgestellten Diagnosen ankommt. Entscheidend ist vielmehr, wie sich die nachgewiesenen Gesundheitsstörungen im Einzelfall auf das individuelle Leistungsvermögen auswirken. Rentenbegutachtung ist „Funktionsbegutachtung“.
Beachten Sie bitte, dass dieser Rechtstipp der allgemeinen Information dient. Eine Rechtsberatung im Einzelfall kann dadurch nicht ersetzt werden.