Im Jahr 2020 wurde an 260.000 bayerische Firmen Soforthilfe in Höhe von rd. 2,2 Mrd. Euro ausgezahlt. Die bayerischen Bezirksregierungen sind auch im ersten Halbjahr 2025 noch immer dabei, Corona-Soforthilfen zurückzufordern. Neuerdings versenden die Regierungen E-Mails an Soforthilfeempfänger und machen darin von ihrem angeblichen "Nachprüfungsrecht" Gebrauch. Unsere Kanzlei hält sowohl die Rückforderungen als auch Nachprüfungsverlangen fünf Jahre (!) nach der Bewilligung von Soforthilfe für verwirkt.
Nach Ansicht der Kanzlei Stenz & Rogoz ist die Rückforderung von Corona-Soforthilfe bzw. die Aufhebung der Soforthilfe-Bescheide von den Richtlinien nicht gedeckt. Die Rückforderung stellt vielmehr einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Unternehmer (Art. 12 Abs. 1 GG), in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG), einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie gegen Treu und Glauben (in der Ausprägung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung) dar. An dieser Stelle wollen wir bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmern die Frage beantworten, wie sie richtig auf die Anhörungsschreiben und Rückforderungsbescheiden reagieren.
UPDATE:
Am 04.04.2025 wurde der langerwartete Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) im München, den dieser am 27. März 2025 (Az. 21 ZB 24.514) verkündet hatte, veröffentlicht. Es wurde entschieden, dass bay. Unternehmen und Soloselbstständige Förderungen aus der bayerischen Corona-Soforthilfe vom Frühjahr 2020 zurückzahlen müssen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass tatsächlich kein pandemiebedingter Liquiditätsengpass eingetreten ist. Denn ein solcher Engpass war Förderzweck und damit Voraussetzung für die Gewährung.
> Eine Auswertung des Beschlusses können Sie in unserem Rechtstipp vom 05.04.2025 nachlesen.
> Überraschendes Rückmeldeverfahren
Den bayerischen Unternehmern wurde anfangs mitgeteilt, dass kein allgemeines Rückmeldeverfahren durchgeführt werde, "da die Bewilligungsstellen bereits im Rahmen der Gewährung der Soforthilfen den Liquiditätsengpass zum Teil umfassend geprüft" hätten. Die Verfahren seien daher für die Verwaltung grundsätzlich abgeschlossen.
Am 28.11.2022. also 2 1/2 Jahre nach Ende des ersten sog. Lockdowns, klang das plötzlich ganz anders: An diesem Tag bekamen Unternehmen in ganz Bayern ein Schreiben ihrer zuständigen Bezirksregierung mit dem Betreff
"Erinnerung an Ihre Verpflichtung zur Überprüfung der erhaltenen Corona-Soforthilfe"
Darin wurde darauf hingewiesen, dass die Corona-Soforthilfen auf der Grundlage einer bei der Antragstellung getroffenen Prognose gewährt worden seien. Aufgrund des Bewilligungsbescheides seien die bayerischen Unternehmer verpflichtet zu überprüfen, ob diese Prognose zu dem bei Antragstellung erwarteten Liquiditätsengpass auch tatsächlich eingetreten sei, oder ob sie die Soforthilfe - gegebenenfalls auch anteilig - zurückzahlen müssten.
> Unsere juristische Einschätzung
Die Rückforderung der Soforthilfen stellt unter anderem einen Verstoß gegen den übergesetzlichen Grundsatz von Treu und Glauben in der Ausprägung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar:
Die Förderrichtlinien haben in der Zusammenschau mit den öffentlichen Äußerungen bayerischer Regierungsmitglieder ein schützenswertes Vertrauen der bayerischen Unternehmerinnen und Unternehmer hervorgerufen, dass die Soforthilfen nicht mehr zurückgeführt werden müssen.
Das Rückforderungsverlangen des Freistaates dürfte verwirkt sein. Der Bundesgerichtshof hat die Voraussetzungen der Verwirkung mit Urteil vom 23.01.2018 (Az.: XI ZR 298/17) wie folgt zusammengefasst:
Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden."
Das „Erinnerung“-Schreiben vom 28.11.2022 erfolgte ca. 30 (!) Monate nach Ende des Lockdowns im Mai/Juni 2020. Damit ist bereits aufgrund des Zeitablaufs ein Vertrauen bei den Unternehmern entstanden, die Hilfen nicht mehr zurückzahlen zu müssen.
Hinzu kommt, dass das Ziel der Soforthilfe im Nachgang umformulierte wurde. Im „Erinnerung“-Schreiben vom 28.11.2022 war zu lesen:
„Ziel der Soforthilfen war, den Unternehmen zu helfen, ihre gewerblich verursachten Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen und damit Insolvenzen zu verhindern, nicht dagegen der weitergehende komplette Ersatz aller Einnahmeverluste.“
Dies wurde bei der Verabschiedung der Soforthilfen den bayerischen Gewerbetreibenden aber gerade nicht vermittelt. Im Gegenteil: Auf der Homepage des Bayerischen Wirtschaftsministeriums war am 27.02.2023 nachzulesen:
„Es handelt sich dabei um kein Förderprogramm, in dem entsprechend den Vorgaben im Bewilligungsbescheid im Nachgang ein Nachweis über die Verwendung der gewährten Mittel vorzulegen ist (Verwendungsnachweis). In Bayern wird auch kein allgemeines Rückmeldeverfahren durchgeführt, da die Bewilligungsstellen bereits im Rahmen der Gewährung der Soforthilfen den Liquiditätsengpass zum Teil umfassend geprüft haben. Die Verfahren sind daher für die Verwaltung – mit Ausnahme noch weniger laufender Nachprüfungen – grundsätzlich abgeschlossen.“
Quelle: https://www.vgsd.de/wp-content/uploads/2021/02/210227-Hinweis-zu-einer-moeglichen-Rueckmeldeverpflichtung-fuer-Soforthilfeempfaenger-Wirtschaftsministerium-Bayern.pdf
Hierzu erklärte Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger bei der Pressekonferenz am 30.03.2020 in München:
„Bayern hat als erstes [Bundesland] damit begonnen, Soforthilfe an die Bevölkerung auszuzahlen. Wir haben hier mittlerweile 200.000 Anträge mit einem Umfang von 1,5 Milliarden auf dem Tisch liegen und über 200 Millionen davon ist schon angewiesen zur Auszahlung. Also über 200 Millionen kommen oder sind schon angekommen auf den Konten der Bürger. Ab morgen wird das System nochmal deutlich beschleunigt und verbessert. Ab morgen werden alle Sätze nochmals angehoben. […] Dann gibt es für bis zu 5 Mitarbeiter 9.000,00 €, für bis zu 10 Mitarbeiter 15.000,00 € […] an Soforthilfe, die nicht zurückbezahlt werden muss.“
Quelle: https://www.facebook.com/watch/?v=746374002561353 [ca. ab Minute 1:00]
Dies wurde begleitet von einer Pressemitteilung des Bayerischen Wirtschaftsministeriums vom 31.03.2020, wo es hieß:
„Zudem wurden auch die Antragsvoraussetzungen für die Soforthilfe noch einmal gelockert. Ab sofort gilt: Der Antragsteller muss glaubhaft versichern, dass er durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, die seine Existenz bedrohen, weil die fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb voraussichtlich nicht ausreichen, um die Verbindlichkeiten in den auf die Antragstellung folgenden drei Monaten aus dem fortlaufenden erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand (z.B.gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingraten) zu zahlen.“
Quelle: https://www.bayern.de/bayern-beschliesst-weitere-verbesserungen-bei-der-corona-soforthilfe/
und http://web.archive.org/web/20200805195821/https://www.stmwi.bayern.de/presse/pressemeldungen/pressemeldung/pm/43338/
Auch Ministerpräsident Markus Söder sagte bei seiner Regierungserklärung am 19.03.2020 im Bayerischen Landtag:
„Und ein Instrument, dass wir im Moment einzig machen und das wir auch allen empfehlen es zu tun in Deutschland: Wir zahlen direkte Soforthilfe an Betriebe
– die durch Maßnahmen, die wir auch selbst getroffen haben mit dem Schließen der Geschäfte und des Wirtschaftsbebens – in Not gekommen sind. Diese Hilfe richtet sich ja vor allem an die Kleinen, wenn ich das so sagen darf. Am Gastronomie, Wirte, Tourismus, Taxler, Messebauer, Handel, Freiberufler, auch für Kulturschaffende, die häufig mit ihren entsprechenden Veranstaltungen von der Hand in den Mund leben. […] Kurz: Es geht um die Kleinen. Es geht um die kleineren Betriebe bis zu Ein-Mann-Unternehmen, die wirklich, in unserem Land einen tollen Beitrag leisten. Wir lassen sie nicht allein. Sie erhalten eine schnelle unbürokratische Soforthilfe von bis zu 30.000 €, die nicht zurückgezahlt werden muss. Es ist kein Kredit. Denn das ist ja der zweite Schritt: Darlehen, die beantragt werden, Kredite, die beantragt werden. Dazu braucht es einer ausführlicheren Regulation. Wir gehen einen ähnlichen Weg, wie wir ihn bei der Fluthilfe erlebt haben, der damals vielen geholfen hat, gerade am Anfang die Liquidität zu sichern. Übrigens auch eine psychologische Motivation zu setzen, dabei zu bleiben und nicht aufzugeben. Die Formulare sind seit gestern online. Und die Auszahlung erfolgt bereits morgen.“
Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=gUyd3GMei5o (ca. ab Minute 37:45)
Von einer nachträglichen Überprüfung des Liquiditätsengpasses fand sich damals also kein Wort.
So zeigte sich etwa der Verband der Gründer und Selbständigen Deutschland e.V. nach Versendung der „Erinnerung“-Schreiben in einer Pressemitteilung vom 02.12.2022 geradezu überrascht von der nachträglichen Überprüfung der Corona-Soforthilfen durch den Freistaat. Er spricht gar von einer „Kehrtwende“ im Bayerischen Wirtschaftsministerium.
Quelle: „Bayern überrascht mit Überprüfung der Corona-Soforthilfen“, abrufbar unter:
https://www.vgsd.de/unangenehme-post-fuer-soforthilfe-empfaenger-bayern-ueberrascht-mit-ueberpruefung-der-corona-soforthilfen/
> Klageabweisung vor dem Verwaltungsgericht Ansbach
Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach hat zwar eine Klage gegen einen Rückforderungsbescheid abgewiesen. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Näheres finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 12.02.2024.
> Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat der Klage eines Friseursalons aus Heidenheim (Aktenzeichen: 15 K 7121/23) stattgegeben, der sich gegen die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen zur Wehr gesetzt hatten.
Das Urteil liegt uns nun im Volltext vor. Auf über 60 (!) Seiten führt das Verwaltungsgericht Stuttgart überzeugend aus, dass es für den Kläger nicht erkennbar war, dass die Corona-Soforthilfe allein zu dem Zweck gewährt wurde, einen Liquiditätsengpass zu verhindern. Stattdessen durfte der Betroffene aufgrund des Wortlautes des Bewilligungsbescheides davon ausgehen, dass auch eine existenzbedrohliche Wirtschaftslage oder Umsatzeinbrüche in erheblicher Höhe unter bestimmten Voraussetzungen ausreichend sein sollte. Das Urteil können Sie auf unserer Homepage nachlesen.
> Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Regensburg:
Hinzu kommt, dass bei vielen Rückforderungsbescheide, die unserer Kanzlei vorliegen, die Regierungen das gemäß Art. 49 Abs. 2a Satz 1 Nr. 1 BayVwVfG erforderliche Ermessen nicht ausgeübt haben. Wörtlich führte etwas das Verwaltungsgericht Regensburg in einem von unserer Kanzlei geführten Rechtsstreit aus:
"Eine Ermessensausübung lässt sich [...] weder dem angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Behördenakten entnehmen. Auch wenn vorliegend für die Ermessensentscheidung die Grundsätze der sog. intendierten Ermessensausübung zugrunde zu legen sein dürften, so hätte es aber zumindest einer Prüfung bedurft, ob ein Ausnahmefall vorliegt, der zu einer Abweichung von der für den Regelfall intendierten Rechtsfolge des Widerrufs Anlass gibt."
Die Regierung der Oberpfalz hob daraufhin den Aufhebungsbescheid auf. Die Klage konnte für erledigt erklärt werden.
> Fazit
>> Zusammenfassend ist daher die Rückforderung der im Jahr 2020 gewährten Corona-Soforthilfen heute rechtsmissbräuchlich und damit als Verstoß gegen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung anzusehen. In Nordrhein-Westfalen wurde die Rückforderung von Corona-Hilfen gerichtlich in zweiter Instanz für unwirksam erklärt (Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 17.03.2023, Aktenzeichen: 4 A 1988/22). Auch vor dem Verwaltungsgericht Hamburg, Aktenzeichen: 16 K 5209/21, hat sich eine GmbH erfolgreich gegen einen Rückforderungsbescheid zur Wehr gesetzt. Auch das Verwaltungsgericht Stuttgart hat der Klage eines Friseursalons aus Heidenheim (Aktenzeichen: 15 K 7121/23) stattgegeben. Das Urteil, das eindringlich auf 60 Seiten begründet wurde, können Sie auf unserer Homepage nachlesen.
>> Unsere Kanzlei vertritt mehrere Hundert Unternehmer, die sich gegen die Rückzahlung wenden, u.a. viele Friseurinnen und Friseure, Gastronome, Physiotherapeuten, Filmschaffende und Künstler...
Wir vertreten unsere Mandanten bereits im Anhörungsverfahren und versuchen im Vorfeld, die Rückforderung von Corona-Soforthilfe anwaltlich zu verhindern. Gegen einen Rückforderungsbescheid gehen wir in Absprache mit unseren Mandanten gerichtlich vor.
>> Sehr gerne werden wir auch kurzfristig für Ihr Unternehmen tätig. Schreiben Sie uns einfach eine Nachricht über Anwalt.de. Wir übersenden Ihnen innerhalb von nur 24 Stunden einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen.
>> Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer Homepage unter https://www.kanzlei-hersbruck.de/rechtsgebiete/corona/.