Mit seinem Beschluss vom 30. August 2024 (10 B 444/24) hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster entschieden, dass in dem Bau eines Mehrfamilienhauses mit mehreren Stellplätzen für Autos und Fahrräder, die an das Nachbargrundstück grenzen, kein Verstoß gegen das Nachbarrecht vorliegt. Denn die befürchtete Unzumutbarkeit der Lärmimmissionen der Stellplätze konnte nicht festgestellt werden.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall wurde der Antragsgegnerin die Baugenehmigung zur Errichtung eines grenzständigen Mehrfamilienhauses mit mehreren Stellplätzen für PKWs und Fahrräder erteilt. Gegen diese Genehmigung klagte ein Nachbar. Seiner Ansicht nach werde er durch den Bau des Vorhabens in der Nutzung seines Gebäudes teilweise beeinträchtigt und dass die vorgesehenen Stellplätze ihm gegenüber rücksichtslos und mit unzumutbaren Lärmimmissionen verbunden seien.
Das Verwaltungsgericht sprach in erster Instanz die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs aus, da aus Sicht des Gerichts das Interesse des Antragsstellers auf Aussetzen überwog.
Entscheidung des OVG Münster
Das OVG Münster entschied jedoch anders.
Im Gegensatz zum VG befand das OVG, dass das Interesse auf Aussetzung des Antragstellers das Interesse auf Vollziehung des Verwaltungsaktes (hier der Baugenehmigung) nicht überwiege. Dies folge aus der summarischen Prüfung des OVG, in welcher das Gericht nur nach den bereits vorhandenen Beweisen und Tatsachen entscheidet. Somit könne laut OVG nach Anhörung der Beteiligten sowie Betrachtung der Verwaltungsvorgänge nicht davon ausgegangen werden, dass die Errichtung des Wohnhauses oder der Stellplätze gegen das Gebot der Rücksichtnahme, § 15 I 2 BauNVO, verstoße.
Entscheidungsgründe
Erfolgsaussichten in der Hauptsache
Das VG nahm an, dass wenn die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen wären – d.h. dass eine konkrete gerichtliche Interessenabwägung vollzogen werden muss – dies für ein Überwiegen des Interesses des Antragstellers spreche.
Für ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers ist allerdings vonnöten, dass in der Hauptsache (der Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung) davon ausgegangen werden kann, dass die Baugenehmigung rechtswidrig ist und sie den Antragsteller in seinen Rechten verletzt.
Ob die dies gegeben sei, müsse innerhalb des Eilrechtsschutzgesuchs in Form einer summarischen Prüfung abgewogen werden. Hierbei sei erneut auf die Vorträge der Beteiligten sowie auf die Verwaltungsvorgänge abzustellen.
Besondere Bausituation des Antragstellers
Dabei wurde in Erwägung gezogen, ob die Bausituation des Gebäudes des Antragstellers eine Abweichung vom Bebauungsplan – spezifisch der Bauweise – erfordere, § 22 III HS. 2 BauNVO.
Dies solle aufgrund der Fenster in der Außenwand des Antragstellers notwendig sein, um damit die Lüftung Beleuchtung seiner Räume zu gewährleisten.
Hierbei verwies allerdings bereits das VG darauf, dass nicht festgestellt werden könne, ob es dem Antragsteller zumutbar sei, sich selbst Abhilfe zu verschaffen. Auch sei im Rahmen des Eilrechtsschutzverfahrens nicht zu klären, ob „die vom Antragsteller geltend gemachte Beibehaltung des Außenofens sowie von Reinigungsmöglichkeiten der Dachrinne“ zu einer Abweichung des bestehenden Baus führe.
Stellplätze
Weiterhin sah der Antragsteller in der Lage der geplanten Fahrrad- bzw. PKW-Stellplätze einen Verstoß gegen das Nachbarrecht. Er brachte hervor, dass die 10 Fahrradstellplätze und 4 PKW-Parkplätze rücksichtslos seien und zu unzumutbaren Lärmimmissionen führen würden.
So konnte das Gericht bei summarischer Prüfung allerdings nicht feststellen, dass von den Fahrradstellplätzen, die sich zwar an der geteilten Grundstücksgrenze befinden, erhöhte Immissionen entstehen. Die Parkplätze weisen zwar die Besonderheit auf, dass sie an den Garten des Antragstellers grenzen, welcher grundsätzlich einen schützenswerten Ort darstelle.
Innerhalb der summarischen Prüfung konnten allerdings auch unter Einbeziehung der Wende- und Einparkmanöver keine unzumutbaren Belastungen festgestellt werden; viel mehr wurden die Parkplätze sogar auf der im Bebauungsplan festgelegten Stelle eingeplant.
Dies muss allerdings abschließend im Hauptsachverfahren geklärt werden.
Baulinie
Zuletzt könne auch nicht damit gerechnet werden, dass der Antragsteller mit der erteilten Befreiung zur Überschreitung der vorderen Baulinie gegen die Baugenehmigung vorgehen kann. Die Baugenehmigung erlaube zwar, dass die Baulinie in gewisser Weise überschritten werden dürfe und auf die Höhe des Gebäudes des Antragstellers zurückweiche. Allerdings stelle dies keine „intensive Nutzung bzw. Fluktuation“ dar, wie der Antragsteller befürchtet.
Somit greifen die vom Antragsteller vorgebrachten Verletzungen des Nachbarrechts nicht; diese betreffen allerdings nur seine zivilrechtliche Rechtsposition. Diese hat keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung.
Anmerkung
Fraglich bleibt, inwiefern Regelungen über Stellplätze überhaupt Drittschutz entfalten und ob es überhaupt möglich ist, durch die Errichtung von Stellplätzen gegen Nachbarrecht zu verstoßen, wie gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
Zu beachten ist hierbei, dass das Rücksichtnahmegebot Dritten nicht individuelle Rechte zuspricht, sondern darauf gezielt ist, beispielsweise Baugenehmigungen nicht zu erteilen. Hierfür vonnöten ist oft, dass das geplante Bauvorhaben nicht in Einklang mit der Umgebung stehen; also rücksichtslos sind, indem sie nicht in Einklang mit der Umgebung stehen und damit eine erdrückende Wirkung entfalten. Grundsätzlich kann von einem Parkplatz aber keine erdrückende Wirkung wie die von einer baulichen Anlage ausgehen, da sie nicht dieselbe Wirkung wie die eines Gebäudes haben.
Allerdings kann anderweitig ein Verstoß durch Parkplätze gegen das Rücksichtnahmegebot bestehen. Möglich wäre ein Verstoß durch die Errichtung der Stellplätze und einer daraus resultierenden belastenden Verkehrslage. So können Lärmimmissionen ein Faktor sein, aber auch Gerüche. Dass dies allerdings Ausmaße erreicht, die zu einem Verstoß führen, ist eher unwahrscheinlich. Hierfür müssten die Immissionen derartig belastend sein, dass sie ein Normalmaß überschreiten. In der Abwägung sind hierbei alle Umstände, die aufkommen könnten, zu berücksichtigen; darunter fallen alle üblichen Situationen, die mit einem Autogebrauch einhergehen, wie Türgeräusche, Einparkgeräusche und derartiges. Ebenso muss auf die Lage der Stellplätze geachtet werden.
Grundsätzlich herrscht allerdings eine Vermutung zugunsten der Nachbarverträglichkeit von Parkplätzen für ein Wohnbauvorhaben und den damit einhergehenden Immissionen. Nur ausnahmsweise müsse bei Anwohnerverkehr geprüft werden, ob eine sozialadäquate Lärmbelästigung überschritten wurde (vgl. VG Regensburg RO 7 S 22.1428 und BayVGH, B.v. 20.3.2018 - 15 CS 17.2528). Andernfalls wäre mit einer beträchtlichen Einschränkung von Parkplätzen in Wohngebieten zu rechnen.