Nicht selten kommt es bei der Beschlussfassung in einer Gesellschafterversammlung einer Kapitalgesellschaft (GmbH, AG) zu Stimmenthaltungen durch einen oder mehrere Gesellschafter. Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht explizit geregelt. 

Soweit auch der Gesellschaftsvertrag keine ausdrückliche Regelung vorsieht, wie mit einer Stimmenthaltung umzugehen ist – was häufig der Fall ist –, fragt sich, ob eine Stimmenthaltung als Nein-Stimme zu werten ist oder aber die Stimme des jeweiligen, sich enthaltenden Gesellschafters unberücksichtigt zu bleiben hat und damit als nicht abgegebene Stimme zu qualifizieren ist.


Keine Regelungen zu Beschlussfassung im Gesellschaftsvertrag

Bei einem vollständigen Fehlen einer gesellschaftsvertraglichen Regelung zur Beschlussfassung, ist grundlegend festzuhalten, dass das Gesetz in § 47 Abs. 1 GmbHG für die GmbH und in § 133 Abs. 1 AktG für die AG vorsieht, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden soll. Demnach gilt das sogenannte Mehrheitsprinzip. 

Folge des Mehrheitsprinzips ist, dass nur die abgegebenen Stimmen entscheidend sind. Stimmenthaltungen hingegen sind nicht als abgegebene Stimmen zu qualifizieren und damit nicht als Gegenstimme zu werten, sondern vollständig außer Betracht zu belassen.


Gesellschaftsvertragliche Regelungen zur Beschlussfassung

Soweit der Gesellschaftsvertrag vom gesetzlichen Leitbild abweichende Regelungen – insbesondere betreffend die erforderlichen Mehrheiten – vorsieht, den Fall einer Stimmenthaltung jedoch außer Betracht lässt, stellt sich ebenso die Frage, wie mit einer solchen umzugehen ist. Der Bundesgerichtshof hat sich zu diesem Thema bei einer Kommanditgesellschaft in seinem Urteil vom 19. Juli 2011 (Az. II ZR 209/09) wie folgt positioniert: 

Stimmenthaltungen sollen auch dann nicht mitgezählt werden, wenn der Gesellschaftsvertrag auf die „Mehrheit der anwesenden Gesellschafter“ abstellt. Nach Auffassung des BGH wäre es realitätsfremd, eine Stimmenthaltung anders zu bewerten als ein vollständiges Fernbleiben von der Gesellschafterversammlung. Insofern sollen auch in diesem Fall allein die abgegebenen Stimmen ausschlaggebend sein und Gesellschafter, die sich der Stimme enthalten wie nicht Erschienene behandelt werden. 

Diese Wertungen lassen sich auf eine Kapitalgesellschaft übertragen. Hier spricht schon die gesetzliche Regelung des Mehrheitsprinzips für eine solche Auslegung ("abgegebene Stimmen"). Darüber hinaus ist nicht erkennbar, weshalb ein sich enthaltender Gesellschafter bei einer GmbH/AG anders bewertet werden sollte als dies bei einer Personengesellschaft nach der Rechtsprechung des BGH der Fall ist.

Andere Formulierungen in einem Gesellschaftsvertrag, wie z.B. „einfache Mehrheit“, „Mehrheit der abgegebenen Stimmen“, „Zwei-Drittel-Mehrheit“ lassen sich vielfach ebenfalls  unter das gesetzliche Leitbild des § 47 Abs. 1 GmbHG bzw. § 133 Abs. 1 AktG fassen. Damit sind auch in diesen Fällen stets die abgegebenen Stimmen für die Mehrheitsfindung zu betrachten und Stimmenthaltungen unberücksichtigt zu lassen.


Fazit

Wenngleich sich aus den gesetzlichen Regelungen ein verhältnismäßig klares Bild betreffend die Stimmenthaltungen ableiten lässt, bietet es sich an, in Gesellschaftsverträge bei Kapitalgesellschaften explizite Regelungen aufzunehmen, wie mit Stimmenthaltungen umzugehen ist, insbesondere wenn solche eine Auswirkung auf die Beschlussfassungen haben sollen. Ansonsten wird es grundsätzlich so sein, dass Stimmenthaltungen für die Beschlussfassung außer Betracht bleiben.

Für den Fall, dass es ohne gesellschaftsvertragliche Regelung zu einer Stimmenthaltung kommt, gilt es den Gesellschaftsvertrag auszulegen und über diesen Weg zu ermitteln, wie eine Stimmenthaltung zu werten ist. Hieraus können erhebliche Rechtsunsicherheiten resultieren. 

Wenngleich es auch in diesem Fall regelmäßig  so sein wird, dass Stimmenthaltungen für die Beschlussfassung außer Betracht bleiben, empfiehlt es sich konkrete Regelungen in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen. Nur so können die ansonsten bestehenden Rechtsunsicherheiten bestmöglich vermieden werden.