Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 29.07.2024 behandelt die Frage, ob bestimmte Regelungen für Überstundenzuschläge von Teilzeitbeschäftigten eine Diskriminierung darstellen. Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass solche Regelungen eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten darstellen können, wenn sie nicht durch objektive Gründe gerechtfertigt sind. Im konkreten Fall stellte der EuGH fest, dass eine solche Rechtfertigung nicht vorliegt. Der Fall wurde dem EuGH als Vorabentscheidungsersuchen vom Bundesarbeitsgericht vorgelegt.
Hintergrund des Falls
Die Streitfrage betraf die Regelung, dass Teilzeitbeschäftigte nur dann Überstundenzuschläge erhalten, wenn sie die reguläre Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten (z. B. 38,5 Stunden pro Woche) überschreiten. Vollzeitbeschäftigte erhalten diese Zuschläge hingegen bereits ab der ersten Stunde, die über ihre vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht. Teilzeitbeschäftigte sahen sich dadurch benachteiligt, da sie Überstunden über ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit hinaus leisten mussten, ohne dafür Zuschläge zu erhalten.
Wesentliche Argumentation des Gerichts
1. Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten:
Der EuGH stellte klar, dass die Regelung Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Diese Benachteiligung verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der durch europäisches Recht (Art. 157 AEUV und die Richtlinien 97/81/EG sowie 2006/54/EG) geschützt ist. Teilzeitbeschäftigte werden durch die einheitliche Zuschlagsregelung strukturell benachteiligt, da sie eine höhere Schwelle erreichen müssen, um Zuschläge zu erhalten.
2. Mögliche mittelbare Geschlechtsdiskriminierung:
Der Gerichtshof wies darauf hin, dass diese Regelung in der Praxis oft auch Frauen benachteiligt, da ein Großteil der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Dies bedeutet, dass die Regelung neben der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten auch eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen kann.
3. Keine ausreichende Rechtfertigung durch Arbeitgeberziele:
Der EuGH prüfte die von den Arbeitgebern vorgebrachten Gründe, wonach die Regelung erforderlich sei, um sie von der Anordnung übermäßiger Überstunden abzuhalten und Vollzeitbeschäftigte nicht schlechter zu stellen. Diese Argumente wies der Gerichtshof zurück. Statt die Anordnung von Überstunden zu reduzieren, könnte die Regelung sogar dazu führen, dass Arbeitgeber eher Teilzeitkräfte für Überstunden einsetzen, da diese für viele Stunden keinen Anspruch auf Zuschläge haben. Somit sind die Regelungen nicht geeignet, die angestrebten Ziele zu erreichen.
Konsequenzen der Entscheidung für die Praxis
Der EuGH machte deutlich, dass nationale Regelungen, also auch Tarifverträge keine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten rechtfertigen können, sofern keine objektiven Gründe vorliegen. Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass Teilzeitbeschäftigte für Überstunden in gleicher Weise wie Vollzeitbeschäftigte, angepasst an den pro-rata-temporis-Grundsatz, entlohnt werden. Dies bedeutet, dass ihre Arbeitsbedingungen fair und diskriminierungsfrei gestaltet sein müssen. Das Urteil stärkt somit die Rechte von Teilzeitbeschäftigten. Es widerspricht jedoch der gelebten Praxis in Deutschland und wird vorrausichtlich eine Änderung von zahlreichen Tarifverträgen erfordern.
Eine Rezeption der Entscheidung durch das Bundesarbeitsgericht steht noch aus. Es ist zu erwarten, dass die vielfach verwendeten Regelungen zu Überstundenzuschlägen in deutschen Tarifverträgen für Teilzeitbeschäftigte unwirksam sein werden und eine Umgestaltung erforderlich werden wird.