Ihre Anträge zur Verfahrensgestaltung wurden von einem Gericht übersehen, Ihre Beweismittel nicht berücksichtigt oder Zeugen nicht angehört? Sie wurden von wesentlichen Vorgängen durch das Gericht nicht informiert oder finden Ihre wesentlichen Argumente in einer Gerichtsentscheidung überhaupt nicht wieder? Dann kann Ihr Recht auf rechtliches Gehör durch das Gericht verletzt worden sein. Das können Sie tun:
Das Recht auf rechtliches Gehör vor Gericht
Sie haben vor Gericht das Recht auf rechtliches Gehör. Dieses wird durch das Grundgesetz (Art. 103 Abs. 1) garantiert.
Dieses Recht umfasst insbesondere, dass das Gericht Sie ausreichend über alle Vorgänge im Rahmen des Prozesses informiert, Ihnen die praktische Möglichkeit gibt, sich zu äußern, und Ihre Äußerungen auch in seiner Entscheidung berücksichtigt.
So muss das Gericht z.B. in Zivil- und Strafverfahren Ihre Beweisanträge zur Kenntnis nehmen und muss sich in jedem Verfahren in seiner Entscheidung mit den zentralen Argumenten aus Ihrem Vortrag auseinandersetzen, auch wenn es diese Argumente für falsch hält.
Die Gehörsrüge
Wenn Sie sicher sind, dass Sie in Ihrem Recht auf rechtliches Gehör verletzt wurden, müssen Sie die Gehörs- oder Anhörungsrüge (beide Bezeichnungen meinen dasselbe) einlegen.
Dabei ist Eile geboten, die Frist beträgt nach einer Endentscheidung zwischen einer (im Strafverfahren) und zwei Wochen (Zivil- und Familienverfahren).
Hat die Gehörsrüge Erfolg, wird das Verfahren fortgesetzt. D.h. eine vorher getroffene Entscheidung wird wirkungslos. Dies ist besonders hilfreich, wenn es keine weitere reguläre Instanz mehr gibt, Sie sich also typischerweise vor einem OLG befinden (und die Revision oder Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wird). Denn dann erhalten Sie nochmals die Chance, alle Ihre rechtlichen Argumente vorzubringen.
Wird die Gehörsrüge abgelehnt, kann eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden.
Gehörsrüge und Verfassungsbeschwerde
Die Gehörsrüge ist in der Praxis – auch unter Juristen – ein relativ unbekannter Rechtsbehelf. Für die Verfassungsbeschwerde ist sie aber von entscheidender Bedeutung.
Wird sie nicht eingereicht, ist der Rechtsweg nicht erschöpft. Das bedeutet, dass Sie die Gehörsverletzung nicht mehr mit einer Verfassungsbeschwerde geltend machen können. Dass Sie in Ihrem Grundrecht aus Art. 103 Abs. I GG verletzt wurden, bleibt dann unkorrigiert.
Es kann sogar noch schlimmer kommen. Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, dass eine Gehörsrüge dem Gericht die Chance gibt, alle Fehler seiner Entscheidung – also auch weitere Grundrechtsverletzungen – zu beheben. Daher sei eine Verfassungsbeschwerde insgesamt unzulässig, sofern eine Gehörsverletzung neben andere Grundgesetzverletzungen tritt und keine Gehörsrüge erhoben wurde. Denn in diesem Fall wäre die Chance vertan worden, einen im Vergleich zur Verfassungsbeschwerde einfacheren Weg zur Behebung von Grundrechtsverletzungen zu gehen.
Stellt das Bundesverfassungsgericht also eine Gehörsverletzung fest, die nicht mit der Gehörsrüge gerügt wurde, kann dies dazu führen, dass auch andere Grundrechtsverletzungen nicht mehr überprüft und korrigiert werden.
Das sollten Sie tun
Die Gehörsrüge ist somit eine zusätzliche Chance und essenziell für eine Verfassungsbeschwerde. Sie sollten daher umgehend nach dem Erhalt einer negativen letztinstanzlichen Entscheidung prüfen (lassen), ob Sie eine solche erheben sollten/können, wenn Sie mit der Entscheidung nicht einverstanden sind.
Da es sich dabei um eine Grundrechtsprüfung handelt, kann es hilfreich sein, einen Anwalt mit Erfahrung im Verfassungsrecht hinzuzuziehen.
Denn im Einzelfall ist die Abgrenzung und nicht selten auch die Darstellung, ob tatsächlich eine Gehörsverletzung vorliegt, oft gar nicht so einfach. Es besteht nämlich ggf. kein Anspruch darauf, dass fehlerhaft oder verspätet eingereichte Schriftsätze und Beweisanträge angenommen und entschieden werden. Auch muss das Gericht sich nicht mit allen vorgebrachten Argumenten und Tatsachen beschäftigen, sondern nur mit solchen, die für seine Entscheidung oder Ihren Vortrag (juristisch betrachtet) ganz wesentlich waren.
Wenn Sie schon wissen, dass Sie Verfassungsbeschwerde erheben wollen, sollten Sie unbedingt einen Anwalt hinzuziehen, der sich mit Verfassungsbeschwerden auskennt. Denn die Gehörsrüge bereitet diese unmittelbar vor.
Wir helfen Ihnen hierbei gerne weiter und unterstützen bei Bedarf auch kollegial Ihren bisherigen Prozess- oder Verfahrensbevollmächtigten. Melden Sie sich gerne bei uns.