Noch bis Ende 2018 können betroffene Käufer Schadensersatz bei der Volkswagen AG geltend machen. Mit aktuellem Urteil des Landgericht Berlins vom 15.11.2017, Az.: 9 O 103/17, wird einer Betroffenen Schadensersatz in Höhe von 10 % des Kaufpreises zugesprochen.

Der Skandal

2015 wurde bekannt, dass VW jahrelang Fahrzeuge mit einer manipulierten Software produzierte. Betroffen sind vor allem Dieselmotoren des Typs EA 189. In diesem ist eine Software installiert, die zur Optimierung der Stickstoff-Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren beigetragen hat. Die Software erkennt, ob sich das Kfz auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet. Auf dem Rollenprüfstand spielt die eingebaute Software beim Stickstoffausstoß ein anderes Motorprogramm ab als im Normalbereich. Hierdurch werden auf dem Prüfstand geringere Stickstoffoxide (NOx) erzielt. Die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte werden im normalen Fahrbetrieb nicht erreicht.

In einer umfangreichen Rückrufaktion informierte VW die betroffenen Käufer und bot an, ein kostenfreies Update an der fehlerhaften Software durchzuführen. Doch auch nach diesem Update – so das LG Berlin – ist der Mangel nicht beseitigt. Der Makel „Abgasskandal“ lässt sich nicht beseitigen und wird dem Fahrzeug für immer anhaften. Dies wird sich bei Verkaufsverhandlungen spürbar negativ auf den erzielbaren Preis auswirken. Auch droht den Nutzern des Fahrzeuges sehr wahrscheinlich ein Fahrverbot in Großstädten.

Der Anspruch

Betroffenen Diesel-Fahrern steht ein Schadensersatzanspruch wegen Verstoß gegen die guten Sitten gem. § 826 in Verbindung mit § 31 BGB zu. Dieser Anspruch verjährt nach der regelmäßigen Verjährungsfrist erst in 3 Jahren, wobei die Frist gem. § 199 I BGB erst dann zu laufen beginnt, wenn der Gläubiger von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Da der Diesel- oder Abgasskandal erstmals am 18. September 2015 öffentlich durch die Presse bekannt gemacht wurde, verjähren Ansprüche aus Deliktsrecht mit Schluss des Jahres 2018.

Das Urteil

In dem Urteil des LG Berlins wird ein Verstoß der VW-AG gegen die guten Sitten bejaht. Der Schaden wurde auch vorsätzlich von VW herbeigeführt. Die Handlung, durch die die VW-AG die Betroffenen geschädigt hat, stellt dabei das Inverkehrbringen- unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung von Dieselmotoren dar. Die manipulierte Motorsoftware hat ein Mitarbeiter der VW-AG entweder selbst programmiert oder deren Programmierung veranlasst. Die VW-AG hat unstreitig den Motor für die betroffenen Fahrzeuge konstruiert und hergestellt. Dieses Verhalten ist der VW-AG zuzurechnen.

Durch die Handlung der VW-AG haben die Betroffenen einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht darin, dass sie in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen Pkw erworben und damit einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat. Kein verständiger Kunde wird ein Fahrzeug mit fehlerhaften Motorsteuerungssoftware erwerben, wenn der Betroffene ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und jedenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das Kraftfahrtbundesamt rechnen müsse.

Die Täuschung durch die VW-AG diente – andere Motive sind nicht ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der VW-AG das Gepräge der Sittenwidrigkeit.

Hinzu tritt, dass die VW-AG durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, sodass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die VW-AG darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden.

Das Verhalten der VW-AG wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines Pkws für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der VW-AG nachteilig beeinflusst worden ist.

Zudem dürfte für die meisten Betroffenen Ansprüche aus Mängelgewährleistung (interessant wäre hier der Rücktritt) bereits verjährt sein. Diese verjähren nämlich gem. § 438 BGB in zwei Jahren nach Ablieferung der Sache. Ansprüche aus Mängelgewährleistung konnten daher nur solche Käufer geltend machen, die einen neuen VW im Zeitraum vom 18. September 2013 bis 2015 geliefert bekommen haben. Die Verjährung kann dann durch die Einlegung entsprechender Rechtsmittel gehemmt werden.

Eine Arglist der Verkäufer, also der VW-Händler, wird in der Rechtsprechung weitgehend verneint. Eine Kenntnis des Mangels könne nur direkten Tochterunternehmen der VW-AG angelastet werden. Somit entfällt auch die Möglichkeit einer Verlängerung der Verjährungsfrist nach § 438 III BGB.

Fazit

In dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Betroffene das „Software-Update“ im Rahmen der Rückrufaktion von VW durchführen lassen. Hierzu sind Betroffene nicht verpflichtet. Es steht ihnen frei, das Angebot der VW-AG anzunehmen oder nicht, ohne dass ihnen hieraus Nachteile entstehen. Indem das LG Berlin trotz dieser „Nachbesserung“ Schadensersatz zuspricht, wird noch einmal deutlich, dass die Mangelhaftigkeit nicht zu beseitigen ist, sondern dem Fahrzeug für immer anlasten wird. Der zugesprochene Schadensersatz kann den Wertverlust, die Mühe, Zeit, Umstände und Ärgernisse der betroffenen VW-Fahrer wohl nur ansatzweise kompensieren. Das Urteil setzt dennoch ein klares Zeichen an die Automobile-Industrie.