Die Kündigung schwerbehinderter oder ihnen gleichgestellter Arbeitnehmer stellt Arbeitgeber vor große Herausforderungen. Schwerbehindert ist, wer einen Grad der Behinderung von mindestens 50 hat. Ihnen gleichgestellt sind Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30, die aber aufgrund behördlicher Entscheidung rechtlich Schwerbehinderten gleichgestellt sind und damit besonderen Kündigungsschutz genießen. Der Arbeitnehmer muss zuvor einen entsprechenden Gleichstellungsantrag bei der zuständigen Agentur für Arbeit gestellt haben und dieser muss positiv beschieden worden sein.
Grundsätzlich sind vor Ausspruch einer Kündigung von Schwerbehinderten der Betriebsrat (sofern vorhanden) und das Integrationsamt anzuhören. Der Arbeitgeber beantragt die Zustimmung zur Kündigung bei dem örtlich zuständigen Integrationsamt (§ 170 Abs. 1 SGB IX). Die Zustimmung des Integrationsamts ist Voraussetzung für die Möglichkeit einer Kündigung. Etwas anderes gilt nur, wenn das Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestanden hat oder das Unternehmen ständig nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, in diesem Fall muss die Kündigungsabsicht der Behörde gegenüber lediglich angezeigt werden, vgl. § 173 Abs.1 Nr.1 SGB IX.
Gegen den Bescheid des Integrationsamts kann Widerspruch oder Klage eingelegt werden.
Doch was prüft das Integrationsamt eigentlich vor der Entscheidung, ob es der Kündigung zustimmt oder nicht?
1. Ist die Kündigung durch die besonderen Leiden des Schwerbehinderten bedingt?
Zunächst prüft das Integrationsamt anhand der vorliegenden Informationen und im Rahmen einer Anhörung der Parteien, ob die Kündigung durch die besonderen Leiden des schwerbehinderten Arbeitnehmers bedingt ist. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer aufgrund psychischer oder physischer Beschwerden nicht mehr in der Lage ist, seiner vereinbarten Beschäftigung nachzugehen. Außerdem dürfen keine anderweitigen Arbeitsplätze im Unternehmen für ihn vorhanden sein, die er mit seinen Beschwerden ausüben kann.
2. Ausübung pflichtgemäßen Ermessens
Es handelt sich bei der Entscheidung des Integrationsamts um eine Ermessensentscheidung. Es müssen also die gegenseitigen Interessen der Parteien gegeneinander abgewogen werden.
Wichtige Faktoren auf Arbeitnehmerseite sind beispielsweise die besondere Situation des Arbeitnehmers, etwaige drohende Nachteile auf dem Arbeitsmarkt aufgrund der Schwerbehinderung, das Alter des Arbeitnehmers und die Möglichkeit alternativer, leidensgerechter Arbeitsplätze.
Auf der anderen Seite ist aus Sicht des Arbeitgebers das Interesse an der freien und störungslosen Gestaltung von Betriebsablauf und dessen Organisation von Bedeutung.
3. Ursächlichkeit der Behinderung für die Kündigung
Das Integrationsamt berücksichtigt bei seiner Entscheidung zudem, ob die Behinderung für den Ausspruch der Kündigung überhaupt von Bedeutung ist. Sofern die Behinderung keine Bedeutung für den Ausspruch der Kündigung hat, misst das Integrationsamt diesem Umstand entsprechend wenig Bedeutung bei. Andersrum wird entsprechend berücksichtigt, wenn die Behinderung Auslöser für die Kündigung ist.
4. Unterscheidung nach Kündigungsgründen
Das Integrationsamt berücksichtigt bei der Entscheidung außerdem, aus welchem Grund dem schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmer gekündigt werden soll. In Betracht kommen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Kündigungsgründe.
a) personenbedingt
Personen- bzw. krankheitsbedingte Kündigungsgründe liegen grundsätzlich dann vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Behinderung nicht mehr in der Lage ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und auch keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit besteht (Versetzung auf anderen Arbeitsplatz). Zudem sollte zuvor ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt worden sein. Die Hürden für eine personenbedingte Kündigung sind hoch.
b) verhaltensbedingt
Im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung ist von Relevanz ob bzw., inwieweit die Behinderung des Arbeitnehmers in Zusammenhang mit dessen Pflichtverstoß steht. Entscheidend ist außerdem die Schwere des Verstoßes und, ob das Verhalten in Zukunft verhindert werden kann.
c) betriebsbedingt
In der Praxis recht häufig anzutreffen ist ein betriebsbedingter Grund für den Ausspruch der Kündigung, da er für den Arbeitnehmer schwerer angreifbar ist. In diesem Fall muss eine unternehmerische Entscheidung zum Wegfall des Arbeitsplatzes getroffen worden sein. Der Prüfungsumfang des Integrationsamts ist eingeschränkt, sofern die unternehmerische Entscheidung den Arbeitnehmer nicht in seiner Eigenschaft als Behinderter betrifft (z.B. Standortschließung oder endgültiger Wegfall der Position und keine anderweitige Einsatzmöglichkeit).
5. ultima ratio
In dem Fall ist zu berücksichtigen, dass die Kündigung das letzte Mittel (ultima ratio) darstellt. Es muss also vor jeder Kündigung geprüft werden, ob andere, weniger belastende Maßnahmen zur Verfügung stehen (z.B. Verkürzung der Arbeitszeit, Versetzung auf anderen Arbeitsplatz, Umschulung).
In jeder Lage des Verfahrens soll das Integrationsamt außerdem auf eine gütliche Einigung hinwirken (vgl. § 170 Abs. 3 SGB IX). Eine solche gütliche Einigung kann beispielsweise die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen eine entsprechende finanzielle Kompensation (Abfindung) sein. Dabei sind Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Gehalt und zukünftige Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.
Im Falle der Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung kann der Arbeitgeber gemäß § 171 Abs. 3 SGB IX innerhalb eines Monats nach Zustellung die Kündigung erklären. Innerhalb dieser Frist muss dem Arbeitnehmer die Kündigung tatsächlich zugehen. Erteilt das Integrationsamt keine Zustimmung zur Kündigung, hat dies eine Nichtigkeit der Kündigung gemäß § 134 BGB zur Folge.
Wenn Sie im Zusammenhang mit einem (bevorstehenden) Kündigungsverfahren, bei einer Anhörung des Integrationsamts oder als Arbeitgeber die Möglichkeiten der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters prüfen möchten, sprechen Sie uns gerne an.