Rechtstipp zu einer komplexen Rechtsfrage: 


Das Kindergeldrecht weist viele Besonderheiten auf – nicht zuletzt dann, wenn nicht nur deutsches Recht, sondern auch EU-Recht sowie das Recht eines anderen EU-Mitgliedsstaates zu berücksichtigen sind. Ein Beispiel für die komplexen Kindergeld-Regelungen stelle ich Ihnen als Berliner Fachanwältin für Steuerrecht, in diesem Artikel vor. Das Steuerrecht ist dasjenige Rechtsgebiet, zu dem auch die rechtlichen Regeln zum Kindergeld gehören. Ich habe langjährige Erfahrungen in allen Rechtsfragen zum Kindergeld und betreue Mandanten aus dem gesamten Bundesgebiet.


Kindergeld-Regelungen: Welcher EU-Staat ist zuständig?

Ein wichtiges Recht aller Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedsstaates ist die „Freizügigkeit“. Freizügigkeit bedeutet, dass jeder Bürger eines EU-Staates auch in jedem anderen EU-Staat eine Beschäftigung aufnehmen darf.


Häufig haben Familienangehörige daher ihren Arbeitsplatz nicht im Heimatstaat, sondern in einem anderen EU-Staat, während der Rest der Familie weiterhin im Heimatstaat lebt


In diesen Fällen stellt sich die Frage:

Welcher der beiden EU-Staaten (Heimatstaat oder Arbeitsplatz-Staat) zahlt das Kindergeld?


Grundregeln hierzu enthält Artikel 68 der EG-Verordnung 883/2004 vom 29.04.2004. Ziel dieser Verordnung ist es, die Systeme der sozialen Sicherheit der einzelnen EU-Staaten zu koordinieren. Doppelzahlungen von Kindergeld durch Heimat- und Arbeitsplatz-Staat sollen verhindert werden.


Artikel 68 der genannten Verordnung enthält bestimmte Vorrangregeln, aus denen sich die Zuständigkeit eines EU-Staates zum Beispiel für eine Kindergeldzahlung ergibt.


Falls die Rechtsvorschriften Kindergeld-Zahlungen an Familienangehörige aus mehreren EU-Staaten aus denselben Gründen vorsehen, dann gilt gemäß Artikel 68 folgende Rangfolge

a.) bei Ansprüchen, die mit einer Berufstätigkeit verbunden sind:

- der Wohnort der Kinder, wenn die Berufstätigkeit im Wohnort-Staat ausgeübt wird,

- subsidiär (nachrangig, hilfsweise) die höchste Leistung, die nach den jeweiligen Rechtsvorschriften der verschiedenen Staaten gewährt wird.


b.) bei Ansprüchen im Zusammenhang mit einer Rente:

- der Wohnort der Kinder,

- subsidiär die längste Dauer der den jeweiligen Rentenansprüchen zugrunde liegenden Wohn- oder Versicherungszeiten.


c.) bei Ansprüchen, die an den Wohnort gebunden sind:

- nur der Wohnort der Kinder.


Ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs zeigt die Komplexität des Kindergeldrechts

Die Komplexität des Kindergeldrechts wird in nachfolgend dargestelltem Rechtsfall deutlich, in dem EU-Recht und die Rechtsnormen zweier EU-Staaten (hier: Deutschland und Polen) aufeinandertrafen.


Im aktuellen Fall befasste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsverfahrens mit einer Kindergeldfrage (EuGH-Urteil vom 25. April 2024, Aktenzeichen v. 25.04.2024).


Der Begriff Vorabentscheidungsverfahren  bedeutet, dass ein Gericht aus einem der EU-Staaten eine europarechtliche Unklarheit bei der Interpretation einer Rechtsnorm feststellt, die für ein bei ihm anhängigen Gerichtsverfahren von Bedeutung ist, deshalb das bei ihm anhängige Gerichtsverfahren aussetzt und zunächst den EuGH darum bittet, „vorab“ die ihm nicht klar erscheinende Rechtsnorm auszulegen, um dann auf der Grundlage der Rechtsauslegung des EuGH das Gerichtsverfahren fortzuführen.


Dem vorliegenden Fall lag ein Rechtsstreit zwischen einem in Deutschland arbeitenden polnischen Arbeitnehmer und der Familienkasse Sachsen zugrunde. Von Bedeutung ist, dass die Ehefrau und das Kind des Arbeitnehmers weiterhin in Polen lebten

Seit 2016 hatte der Arbeitnehmer für sein in Polen lebendes Kind Kindergeld in Deutschland erhalten.

Im Jahr 2019 beantworteten die polnischen Behörden eine Anfrage der Familienkasse Sachsen dahingehend, dass

- die Ehefrau des Arbeitnehmers seit 2006 berufstätig sei,

- aber die seit 2019 in Polen möglichen Familienleistungen nicht beziehe. Sie beabsichtige auch nicht, in Polen Kindergeld zu beantragen.


Wegen dieser beiden von den polnischen Behörden gemeldeten Sachverhalte hob die Familienkasse ihren Kindergeldbescheid auf und verlangte die Rückzahlung aller ab Juli 2019 geleisteten Kindergeldzahlungen in Höhe von insgesamt etwa 1.700 Euro.

Gegen diesen Bescheid der Familienkasse klagte der polnische Arbeitnehmer nun vor dem für ihn zuständigen Finanzgericht Bremen.

Er begründete seine Klage damit, dass seine Ehefrau tatsächlich nicht erwerbstätig sei. Sie habe lediglich den Bauernhof ihrer Eltern übernommen, der aber gar nicht bewirtschaftet werde. Das Eigentum an einem Bauernhof verpflichte jedoch in Polen zur Beitragszahlung an die polnische Sozialversicherung. Dies allein sei die Grundlage dafür, dass die Ehefrau nach polnischem Recht als „erwerbstätig“ gelte.


Das Finanzgericht Bremen setzte das Gerichtsverfahren zunächst aus und stellte ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung von Artikel 68 der EG-Verordnung Nr. 883/2004.

Die Rechtsfrage des Finanzgerichts Bremens an den EuGH lautete sinngemäß:

„Steht die Rückforderung von Kindergeld auch dann in Einklang mit Artikel 68 der EG-Verordnung, wenn in Polen weder Kindergeld beantragt noch ausgezahlt wurde, obwohl die Ehefrau des Arbeitnehmers in Polen ab Juli 2019 Kindergeld hätte beantragen können?“


Nach Abwägung aller relevanten europarechtlichen Fragen urteilte der EuGH „dass es Artikel 68 der Verordnung 883/2004 (Deutschland) nicht gestattet, Familienleistungen zurückzufordern, sofern in (Polen) eine Familienleistung weder festgesetzt noch ausgezahlt wurde.

Allerdings dürfe die deutsche Familienkasse von dem in Polen zuständigen Sozialversicherungsträger den Betrag zurückfordern, um den das (nach deutschem Recht) gezahlte Kindergeld die Höhe des polnischen Kindergeldes übersteige.


Ich bin in allen Rechtsfragen zum Kindergeld zuverlässig an Ihrer Seite

Sie haben rechtliche Fragen zum Kindergeld - zum Beispiel, wenn Sie in Deutschland arbeiten, Ihre Familie aber weiterhin in Ihrem Heimatland wohnt? Dann lassen Sie sich von mir beraten, wenn Sie oder Ihr Ehe- oder Lebenspartner in Deutschland arbeiten, der Wohnsitz der übrigen Familienangehörigen aber in einem anderen EU-Staat verbleibt.

Ich berate Sie als Fachanwältin für Steuerrecht sorgfältig und kompetent – ganz unabhängig davon, wo Sie in Deutschland wohnen oder arbeiten.


Wichtiger Hinweis:

Wie der vorgestellte Beispielfall zeigt, kommt es bei einer rechtlichen Beurteilung stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Daher ersetzt dieser Rechtstipp keinesfalls eine individuelle Beratung durch einen in Kindergeldfragen erfahrenen Rechtsanwalt.