Was steht in dem Herrenberg-Urteil?
Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob eine Musikschullehrerin ihre freiberuflich vereinbarte Unterrichtstätigkeit für eine Musikschule als Selbstständige oder im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausübt. Die Musikschullehrerin erhält für ihre Tätigkeit ein festes monatliches Honorar, war zur persönlichen Unterrichtung verpflichtet und konnte sich nicht vertreten lassen. In zeitlicher und örtlicher Hinsicht war die Lehrerin an die Vorgaben der Musikschule gebunden und erbrachte ihren Unterricht auf der Grundlage von Rahmenlehrpläne. Eine eigene betriebliche Organisation hatte die Musiklehrerin nicht und trug kein für Selbstständige typisches Unternehmerrisiko.
Obwohl sich die Musikschullehrerin und die Musikschule einig waren, dass gerade kein Arbeitsverhältnis zwischen ihnen vereinbart war, deklarierte das Bundessozialgericht die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. In dieser Entscheidung stellte das BSG (nicht zum ersten Mal) klar, dass sich die Qualifizierung einer Tätigkeit als selbstständig oder beschäftigt nicht nach dem Willen der Vertragsbeteiligten oder deren Vereinbarung richtet, sondern ausschließlich nach den Vorgaben des Sozialversicherungsrechts. Die sozialrechtliche Beurteilung wiederum richtet sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und der konkreten Durchführung der jeweiligen Zusammenarbeit.
Nach den Ergebnissen des BSG war die Musikschullehrerin in dem zu entscheidenden Fall für die Musikschule weisungsgebunden tätig und in die Arbeitsorganisation der Musikschule eingegliedert, sodass die Lehrtätigkeit als versicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen war. Damit kam das Bundessozialgericht in diesem Fall zu einer anderen sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung als noch in einem vorausgegangenen Urteil, bei dem es um die Tätigkeitsbeurteilung eines Gitarrenlehrers ging.
Warum ist das Herrenberg-Urteil so wichtig?
Da das Herrenberg-Urteil vom 28.06.2022 die Kriterien für eine Abgrenzung zwischen der selbstständigen und unselbstständigen (sozialversicherungspflichtigen) Tätigkeit von Musiklehrern sehr präzise herausgearbeitet hat, nahmen die Sozialversicherungsträger dieses Urteil zum Anlass, diese Kriterien künftig für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht nicht nur von Musiklehrern, sondern allen Lehrern in Bildungseinrichtungen heranzuziehen. Dieses Vorhaben wiederum stieß bei den Lehreinrichtungen auf erheblichen Widerstand, da zu befürchten war, dass im Rahmen von Betriebsprüfungen bei einer Vielzahl von Lehrern nachträglich Sozialversicherungspflicht festgestellt wird, die zu erheblichen Nachzahlungen und damit der existenziellen Gefährdung von solchen Bildungseinrichtungen führen könnten.
Die vorübergehende Lösung: eine zeitlich begrenzte Schonfrist
Um die Situation zu entspannen, wurde mit Wirkung zum 01.03.2025 in § 127 SGB IV eine Übergangsregelung für Lehrtätigkeiten erlassen. Diese besagt im Wesentlichen, dass eine Versicherungspflicht eines Lehrers auf Grund einer Beschäftigung, die als freies Honorarverhältnis vereinbart wurde, erst zum 01.01.2027 eintritt, wenn die Beteiligten übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind und die Person, die die Lehrtätigkeit ausübt, zustimmt.
Für wen gilt diese Übergangsregelung?
Diese Übergangsregelung gilt grundsätzlich für alle Lehrer und zwar unabhängig davon, ob diese eine spezielle pädagogische Ausbildung oder ein Pädagogikstudium absolviert haben. Von dieser Regelung profitieren damit insbesondere auch Dozenten an Hochschulen, Sportlehrer, Fahrschullehrer, Tanzlehrer oder Sprachschullehrer (nicht abschließend).
ACHTUNG 1: Von dieser Übergangsregelung nicht erfasst werden Lehrer, Dozenten etc., die auf der Basis eines Arbeitsvertrages für eine Bildungseinrichtung tätig werden oder deren Honorarvertrag nach Erlass des Herrenberg-Urteils in ein Arbeitsverhältnis umgewandelt wurden. Für diese sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bleit es bei der allgemeinen Beitragspflicht.
Welche Handlungsoptionen ergeben sich aus der Übergangsregelung?
Sowohl für Lehrer als auch die betroffenen Bildungseinrichtungen bietet diese Übergangsregelung einen Gestaltungsspielraum, um die Sozialversicherungspflicht für den Übergangszeitraum zu regeln. Soweit zwischen Bildungseinrichtung und Lehrer Einigkeit darüber besteht, dass die Beschäftigung keiner Sozialversicherungspflicht unterliegen soll, kann diese durch eine entsprechende Zustimmungserklärung abgesichert werden. Ohne die erforderliche Zustimmungserklärung bleibt es bei der Sozialversicherungspflicht.
ACHTUNG 2: Die in § 2 Satz 1 Nr.1 SGB VI bestehende Rentenversicherungspflicht für selbständige Lehrer wird von der Übergangsfrist nicht erfasst. Wer die oben dargestellte Zustimmung erteilt, gilt als selbständig und ist (soweit kein eigener sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt wird) nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI rentenversicherungspflichtig.
Die obigen Ausführungen ersetzen keine anwaltliche Beratung! Für weitere Unterstützung stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.