Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine variable Vergütung erhalten, sollten darauf achten, dass ihre Zielvorgaben rechtzeitig festgelegt werden. Nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 19. Februar 2025 (10 AZR 57/24) kann eine verspätete Zielsetzung grundsätzlich dazu führen, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin einen Anspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3 BGB i.V.m. § 283 S. 1 BGB auf Schadensersatz statt der Leistung geltend machen kann.
Im entschiedenen Fall musste der Arbeitgeber die Ziele laut Betriebsvereinbarung spätestens bis zum 1. März des jeweiligen Jahres festlegen. Tatsächlich setzte er diese jedoch erst im Oktober. Das BAG entschied: Eine so späte Festlegung ist unwirksam, da sie ihre steuernde und motivierende Funktion verliert. Wer seine Leistung nicht an klaren Vorgaben ausrichten kann, darf dadurch nicht benachteiligt werden. Wichtig zu betonen ist, dass für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen keine Pflicht besteht, die Zielvorgabe aktiv einzufordern oder auf eine fristgerechte Festlegung zu drängen. Die Verantwortung liegt allein beim Arbeitgeber. Bei einer unterlassenen oder verspäteten Zielvorgabe des Arbeitgebers scheidet mithin ein Mitverschulden des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerinnen wegen fehlender Mitwirkung regelmäßig aus, weil allein der Arbeitgeber die Initiativlast für die Vorgabe der Ziele trägt. Anders verhält es sich jedoch bei Zielvereinbarungen.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit seinem Urteil vom 3. Juli 2024 (10 AZR 171/23) die unterscheidenden Merkmale fest definiert. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die erfolgsabhängige variable Vergütung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen.
Hingegen werden Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird. Wird die Zielsetzung zu spät oder gar nicht vorgenommen, können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlangen, dass sie so gestellt werden, als hätten sie alle vereinbarten Ziele erreicht.
In der Praxis bedeutet das: Der Arbeitgeber muss die volle Bonuszahlung leisten und zwar auch wenn die verspätet festgelegten Ziele nicht erreicht wurden. Wer von einer verspäteten Zielvorgabe betroffen ist, sollte dies dokumentieren und sich auf das Urteil des BAG berufen. Falls der Arbeitgeber sich weigert, die variable Vergütung in voller Höhe zu zahlen, kann sich eine rechtliche Prüfung lohnen. Besonders wichtig ist dies für Mitarbeitende in leitenden Positionen oder mit leistungsabhängiger Bezahlung, da Verzögerungen hier erhebliche finanzielle Nachteile mit sich bringen können.
Das Urteil stärkt die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und macht deutlich, dass Arbeitgeber sich an klare Fristen halten müssen. Wer eine Zielvorgabe hat, sollte darauf achten, dass sie rechtzeitig getroffen wird und bei Versäumnissen nicht davor zurückschrecken, die volle Vergütung einzufordern.
Kanzlei Stiller
Verfasserin: C. Weiß
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