Überwachung und Rechtstaatlichkeit: Eine Abwägung im Kontext organisierter Kriminalität

In der heutigen Zeit stehen die Rechtsstaatlichkeit und der Schutz persönlicher Freiheiten oft im Spannungsfeld zu den Herausforderungen, die die organisierte Kriminalität mit sich bringt. Die aktuelle BGH Entscheidung verdeutlicht diese Problematik und wirft wichtige Fragen bezüglich der Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis und der Wahrung von Menschenrechten auf.

Hintergrund der Überwachungsmaßnahmen

In den letzten Jahren haben sich Technologien und Kommunikationsmittel entwickelt, die von Kriminellen für ihre Aktivitäten genutzt werden. Besonders Geräte, die speziell für die Kommunikation unter Kriminellen konzipiert sind, stellen eine Herausforderung für die Strafverfolgung dar. Der Erwerb eines solchen Geräts, wie beispielsweise eines Anom-Handys, kann bereits als Indiz für die Planung und Durchführung schwerer Straftaten gewertet werden, so der BGH jüngst in seiner Entscheidung (Urteil vom     09.01.2025- 1 StR54/24).

Die Maßnahmen zur Überwachung, die in diesem Kontext ergriffen werden, richten sich gezielt gegen Personen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine Beteiligung an Straftaten der organisierten Kriminalität bestehen. Diese gezielte Vorgehensweise wird als notwendig erachtet, um die Gefahren, die von Drogenhandel, Waffenhandel und anderen Formen schwerer Kriminalität ausgehen, wirksam zu bekämpfen.

So weit so gut aber ist dies tatsächlich auch so???

Wie können gezielte Maßnahmen gegen Personen eingesetzt werden, bei denen noch nicht bekannt ist, um welche Personen es sich handelt und zu welchem tatsächlichen Zweck diese Geräte angeschafft wurden. 

Hier ist an den Journalisten, Politiker, Berufsgeheimnisträger, usw zu denken, welche allesamt nachvollziehbar das Bedürfnis haben sicher zu kommunizieren. Nachweislich wurden diese Geräte nicht nur von Kriminellen genutzt. 

Abwägung der Grundrechte

Die Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis sind jedoch nicht ohne Kontroversen.
Solche Maßnahmen können die Grundwerte eines Rechtsstaates gefährden und sollten nicht um jeden Preis der Aufdeckung von Straftaten aufgeweicht werden.

Der BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung jedoch festgestellt, dass die Überwachung und der so gewonnenen Daten nicht gegen grundlegende Menschenrechte oder rechtsstaatliche Anforderungen verstößt. Die Eingriffe waren auf bestimmte Verdächtige beschränkt und zielten darauf ab, schwerwiegende Straftaten zu verhindern, so die vorläufige Begründung. 

Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass der Angeklagte nicht in der Lage war, die im Ausland ergangenen Beschlüsse anzufechten. Dies könnte als potenzielle Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren interpretiert werden. Dennoch wurde in der Gesamtabwägung entschieden, dass die besonderen Umstände und der hohe Schutzbedarf in Fällen organisierter Kriminalität diese Einschränkungen rechtfertigen.

Ob diese Begründung im Einklang der europäischen Rechtsprechung steht, bleibt zweifelhaft. 

So hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung in Sachen Yüksel Yalcinkaya gegen TÜRKİYE (Antrag Nr. 15669/20) bereits entschieden, dass dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben sein muss die Entscheidung überprüfen zu können. 

Der Gerichtshof hat wiederholt darauf hinweisen, dass bei der Prüfung der Fairness des Verfahrens insgesamt auch beurteilt werden muss, ob der Antragsteller die Möglichkeit hatte, die Beweise anzufechten und ihrer Verwendung unter Umständen zu widersprechen. Eine tragende Rolle spielt dabei die Rechtschutzmöglichkeit des jeweiligen Betroffenen.

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat diesen Rechtsgedanken, nämlich der Notwendigkeit der richterlichen Kontrolle auch im Rahmen grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen zum Durchbruch verholfen – vergleiche Rechtssache C 852/19. 

Und auch RICHTLINIE (EU) 2016/680 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung,Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates setzt diese Maßstäbe.

Dort heißt es: 

Jede betroffene Person sollte das Recht haben, bei einer einzigen Aufsichtsbehörde eine Beschwerde einzureichen und gemäß Artikel 47 der Charta einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen. 

Folglich stellen sich folgende Fragen: 

- WIE und vor allem WO kann der Betroffene einen behaupteten „Beschluss vom Hörensagen“ überprüfen oder gar anfechten. 

- Welcher Sachverhalt lag eigentlich dem vermeintlichen „Beschluss vom Hörensagen“ vor. Wurde der unbekannte Drittstaat möglicherweise mit unzutreffenden Sachverhaltsdarstellungen zum Erlass des Beschlusses bewegt. 

- Wie kann der Betroffene im Sinne der EuGH-Rspr. gegen den „Beschluss vom Hörensagen“ vorgehen, wenn noch nicht mal die Begründung vorliegt. 

- Benötigen wir in Zukunft keine Beschlüsse mehr, da eine Heilung im Rahmen der Abwägung eintritt. 

Die ausführliche Begründung des BGH bleibt hier abzuwarten. Bereits jetzt scheint es so, dass der EuGH sich ebenfalls mit der Causa ANOM befassen muss.

Fazit


Die Debatte um Überwachung und Datenschutz ist komplex und erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. Während die Bekämpfung der organisierten Kriminalität ein legitimes Ziel ist, dürfen dabei die rechtsstaatlichen Prinzipien und die Menschenrechte nicht außer Acht gelassen werden.
Der vorliegende Fall zeigt, dass es möglich ist, diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen, solange die Maßnahmen gezielt, begrenzt und transparent sind. Gerade aber die Transparenz bleibt auf der Strecke. Ein Strafverfahren sollte nicht geheim geführt werden. Ein faires Verfahren setzt eine Waffengleichheit zwischen den Beteiligten voraus. Diese elementaren Grundsätze sollten nicht über Bord geworfen werden, nachdem Motto

 „DIE WAREN ES DOCH“. 


Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zu finden, das sowohl die Sicherheit der Gesellschaft gewährleistet als auch die individuellen Freiheiten respektiert.

Ferhat Tikbas 

Fachanwalt für Strafrecht 


Sind auch sie von solchen Ermittlungen betroffen, sprechen Sie mich an – ich suche mit Ihnen gemeinsam nach einer Ihren Interessen entsprechenden Lösung des Problems