Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung in der Corona-Pandemie
Fall: Verweigerung der Durchführung von bereitgestellten Schnelltests
Urteil des ArbG Hamburg vom 24.11.2021, Az: 27 Ca 208/21
Das Arbeitsgericht Hamburg hat eine ausgesprochene ordentliche Kündigung eines Fahrers wegen verweigerter Durchführung von bereitgestellten Schnelltests für unwirksam erklärt, weil es an der erforderlichen Abmahnung fehlte.
Was ist passiert?
Bei dem Kläger handelt es sich um einen Fahrer, der seit Sommer 2019 bei einem vollelektronischen „Ride-Sharing“ Dienstleister beschäftigt war.
Die Beklagte übernahm in Hamburg die Nachtfahrten des öffentlichen Personennahverkehrs. Mit den von der Beklagten zur Verfügung gestellten Fahrzeugen können die Fahrer bis zu sechs Fahrgäste pro Fahrt gleichzeitig befördern. Eine durchschnittliche Fahrt dauert etwas mehr als 20 Minuten.
Im sog. Fahrer-Handbuch werden die Fahrer dazu angewiesen, zwei Mal in der Woche einen Corona-Schnelltest durchzuführen. Nach § 3 Abs. 1 des Arbeitsvertrages haben die Fahrer die Vorgaben strengstens zu befolgen. Bei den Schnelltests handelt es sich um Antigentests, bei denen lediglich ein Abstrich im vorderen Nasenbereich erfolgt.
Als der Kläger nach der Verhängung von Kurzarbeit wieder bei der Beklagten zur Arbeit antrat, verweigerte er vor Fahrtbeginn die Durchführung eines bereitgestellten Corona-Schnelltests vor Ort der Beklagten sowie die Mitnahme eines Testkits zur regelmäßigen Testung von zu Hause aus. Zwei Tage später verweigerte er erneut den Schnelltest. Er wurde jeweils darauf hingewiesen, dass er dazu verpflichtet sei.
Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen.
Der Kläger erhob form- und fristgerecht Kündigungsschutzklage.
Was hat das Gericht geprüft?
Die Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, damit sie wirksam ist nach § 1 KSchG.
Verhaltensbedingte Kündigungen sind in zwei Schritten zu prüfen. Zunächst muss ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegen, der grundsätzlich geeignet ist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darzustellen. Im zweiten Schritt muss das Gericht prüfen, ob auch im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und Abwägung der beidseitigen Interessen ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt.
Wie hat das Gericht entschieden?
Nach Auffassung des Arbeitsgerichts war die ordentliche Kündigung unwirksam und damit nicht geeignet das Arbeitsverhältnis zu beenden. Mithin hat der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen.
Zwar war die Anordnung der Beklagten an ihre Beschäftigten zur Durchführung des Schnelltests rechtmäßig. Allerdings wäre vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung als milderes Mittel geeignet und ausreichend gewesen, um beim Kläger künftige Vertragstreue zu bewirken. Nach erfolgter Beweisaufnahme ließ sich eine vorherige Abmahnung nicht mit Sicherheit feststellen. Da die Beklagte für das Vorliegen einer Abmahnung die Beweislast trägt, fällt die Entscheidung hier zugunsten des Klägers aus.
Zur Begründung führte das Gericht u. a. aus:
Eine Kündigung kommt im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann in Betracht, wenn dem Arbeitgeber sämtliche mildere Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Insbesondere eine Abmahnung stellt ein alternatives Gestaltungsmittel dar, wenn es schon geeignet ist, den mit der Kündigung verfolgten Zweck zu erreichen, vgl. BAG Urteil v. 10.06.2010 – Az: 2 AZR 541/09.
Im vorliegenden Fall konstatierte das Gericht, dass der Kläger trotz mehrfacher Weigerung davon ausgehen konnte, dass sein Verhalten rechtmäßig war und er auf die Bereitstellung eines minimal invasiveren Testverfahrens bestehen durfte. Mangels höchstrichterlicher Rechtsprechung und gesetzlicher Testpflicht von Arbeitnehmer*innen kann das Gericht nicht davon ausgehen, dass sich der Kläger seiner Vertragswidrigkeit bewusst war.
Obgleich dies nicht für die Entscheidung von Relevanz war, führte das Gericht aus, dass die Beklagte prinzipiell zu einer derartigen Anordnung gegenüber ihren Fahrern berechtigt war. Denn sie hält sich in den Grenzen des bestehenden Weisungsrechts nach § 106 GewO. Die Intensität des Eingriffs in die körperliche Integrität des Testanwenders ist als äußert gering zu bewerten, da der Abstrich nur im vorderen Nasenbereich erfolgte. Diese Art von Tests ist nicht vergleichbar mit denen, die einen Abstrich im hinteren Nasen- und/oder Rachenbereich erfordern, vgl. AG Meinigen, Beschluss v. 18.01.2021 – Az: 3 XVII 234/19. Es liegt auch kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor, da die dabei erworbene Datenmenge – das Testergebnis - nur eine kurze Momentaufnahme darstellt und den Arbeitgeber nur über eine Infektion informiert (nicht über weitere Hintergründe). Jedenfalls stehen dem Eingriff gewichtigere Interessen der Beklagten wie der Schutz der Kunden und ihrer Beschäftigen vor dem Infektionsrisiko entgegen.